
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Im Podcast "Dienstags im Koi" bespricht die Redaktion von Kultur Management Network einmal im Monat aktuelle Kulturmanagement-Themen. Julia Jakob, die Chefredakteurin des Magazins, und Kristin Oswald, die Leiterin der Online-Redaktion, teilen darin ihre Gedanken zu Entwicklungen im Kulturbetrieb.
Seit der Pandemie arbeitet das Team von Kultur Management Network vor allem im Homeoffice. Nur der Dienstag ist der feste Bürotag und das bedeutet auch: Wir gehen zum Mittagessen ins Koi7, unser Weimarer Lieblingsrestaurant. Der Name Koi7 geht auf das altgriechische Wort Koine zurück, das gemeinsame Sprache bedeutet. Dazu passend besprechen wir im Koi7, was gerade in der Welt und im Kulturbetrieb passiert. Was läge also näher, als einen Podcast danach zu benennen?
Wie unsere Mittagspausen im Koi7 ist auch der Podcast ein Plausch, hier zwischen Jule und Kristin, hin und wieder begleitet von unserem Chef Dirk Schütz oder anderen Teammitgliedern. In den bisherigen, vor allem textgebundenen Formaten der Redaktion gab es keinen Platz für diese Gespräche. In "Dienstags in Koi" teilen Jule und Kristin ihre jahrelangen Erfahrungen und ihr Wissen über den Kulturbereich, ordnen aktuelle Themen ein und geben Einblicke in ihren Redaktionsalltag. Zudem veröffentlichen wir im Podcast Interviews, die die Redaktionsdamen mit Kulturschaffenden führen. Damit ist "Dienstags im Koi" einer der wenigen redaktionellen, spartenübergreifenden Kulturmanagement-Podcasts.
Unser Podcast “Dienstags im Koi” und die redaktionellen Inhalte auf unserer Website sind für unsere Hörer*innen und User*innen kostenlos. Dennoch braucht all das viel Liebe und Zeit. Deshalb freuen wir uns über jede finanzielle Unterstützung. Dafür habt ihr zwei Möglichkeiten:
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Ein Podcast der KM Kulturmanagement Network GmbH.
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Folge 14: Paradiesische Zustände mit Birgit Mandel
In dieser Folge "Dienstags im Koi. Ein Podcast von kulturmanagement.net" haben Julia Jakob, Kristin Oswald und Dirk Schütz eine paradiesische Zeit mit ihrer Gästin Birgit Mandel. Neben Einblicken in Besetzungsverfahren für eine Kulturmanagement-Professur geht es vor allem um das Ende der paradiesischen Zustände im deutschen Kulturbereich. Als Professorin und Forscherin zu Kulturmanagement und Kulturpublikum ordnet Birgit die aktuellen Kürzungen wissenschaftlich ein. Kann es eine Rückkehr ins Paradies geben? Leider ist der Ton dieser Folge an einigen Stellen schlecht, aber mit dem Transkript bei Buzzsprout könnt ihr den ganzen Plausch nachlesen: https://www.buzzsprout.com/2204591/episodes/16287255-folge-14-paradiesische-zustande-mit-birgit-mandel
Profil und Publikationen von Birgit Mandel: https://www.uni-hildesheim.de/fb2/institute/kulturpolitik/team/mandel/
Kürzungen für Berliner Kultur: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/kultur-berlin-100.html
Statement des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung: https://www.iktf.berlin/eilmeldung-das-iktf-soll-abgewickelt-werden/
Kulturfördervereine Thüringen: https://thueringen.kulturfoerdervereine.eu/preis.html
Beitrag von Birgit Mandel: Theater in der Legitimationskrise: https://www.kulturmanagement.net/Themen/Theater-in-der-Legitimationskrise-Die-Neujustierung-des-Verhaeltnisses-der-oeffentlich-getragenen-Theater-zu-Publikum-und-Bevoelkerung,4413
Maxim Gorki Theater: https://www.gorki.de/de
Buchrezension: Museum und Partizipation: https://www.kulturmanagement.net/Themen/Buchrezension-Museum-und-Partizipation-Theorie-und-Praxis-kooperativer-Ausstellungsprojekte-und-Beteiligungsangebote,4017
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[Julia Jakob:] (0:00 - 0:31)
Hallo, liebe Hörende, es fühlt sich gerade ein bisschen so an wie der Moment, wenn vor einer Theateraufführung jemand vom Theater auf die Bühne kommt, um zu sagen, dass es ein paar Änderungen im Stück gibt, weil das ist ja nie ein gutes Zeichen dafür, dass es krankheitsbedingte Ausfälle etc. gibt. Das gibt es bei uns zum Glück nicht, dafür hatten wir bei der letzten Aufnahme eine technische Störung, die uns allerdings erst nach der Aufnahme aufgefallen ist, was besonders ärgerlich ist, weil eine sehr spannende und intensive Folge entstanden ist, die wir auch nicht ohne Weiteres nochmal nachproduzieren können, da wir mit Birgit Mandel eine Gästin vor Ort hatten.
Wir haben uns deshalb dafür entschieden, die Folge weder für die Tonne produziert zu haben, noch nochmal neu aufzunehmen, sondern stellen euch ein Transkript zur Verfügung, bei dem ihr alle Stellen, an denen die Aufnahme hakt oder Dinge verschluckt werden, nochmal nachhören könnt. Passagen, die von unserer Seite super schwer verständlich sind, haben wir schon neu eingesprochen und wir hoffen, dass das für euch so okay ist und ihr trotzdem die allerwichtigsten Dinge aus der Folge mitnehmen könnt.
Daher begrüße ich euch jetzt nochmal ganz herzlich zu dieser weiteren Folge „Dienstags im Koi. Ein Podcast von Kulturmanagement.net“. Es ist unsere letzte Plauschfolge in 2024, 2025 sind wir natürlich weiterhin für euch da und ich freue mich sehr, diese Folge gemeinsam wieder mit meinen Kolleg*innen Kristin Oswald und Dirk Schütz aufnehmen zu dürfen und passend zu unserem letzten Podcastthema haben wir heute eine Gästin, die wir normalerweise immer im Tagungskontext treffen: Birgit Mandel.
Hallo Birgit!
[Birgit Mandel:]
Hallo, schön, hier zu sein.
[Julia Jakob:]
Magst du dich kurz vorstellen für alle, die dich nicht kennen?
[Kristin Oswald:]
Für die wenigen, die dich nicht kennen.
[Birgit Mandel:] (0:32 - 0:59)
Ja, ich leite in Hildesheim das Institut für Kulturpolitik und bin dort zuständig für den Bereich Kulturmanagement und Kulturvermittlung und leite auch unsere beiden großen Studiengänge, den Bachelor Kulturwissenschaft und künstlerische Praxis und den Master mit dem fast unaussprechlichen Titel Kulturvermittlung, Kulturpolitik und Transformation im Kontext der Künste.
[Kristin Oswald:] (1:00 - 1:32)
Und du bist heute nicht nur in Weimar, weil du uns besuchst, sondern du bist in Weimar, weil hier an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT die Professur für Kulturmanagement neu besetzt wird und du ein Teil des Auswahlgremiums für die neue Person auf dieser Professur bist.
Ich glaube, dass viele von unseren Hörenden vielleicht gar nicht wissen, wie sowas läuft: Was heißt das eigentlich Professurbesetzung? Warum bist du da dabei, obwohl du mit der Hochschule gar nichts zu tun hast? Und warum ist es eigentlich auch relevant, wer auf diesen Professuren ist?
[Birgit Mandel:] (1:33 - 4:28)
Ja, vielleicht erst zu dem Verfahren: Die sind natürlich an Hochschulen stark durchformalisiert. Und das heißt, es muss eine bestimmte Anzahl an Professor*innen, an wissenschaftlichen Mitarbeitenden, an Studierenden dabei sein.
Und es ist eigentlich üblich, dass man, um nicht nur im eigenen Saft zu schwimmen, auch immer zwei Leute von außen einlädt, die selber eine Professur in diesem Bereich in Deutschland haben. Und man muss dazu sagen, dass es keineswegs besonders viele Professuren in Deutschland für Kulturmanagement geben würde. Wir hatten ja eine Zeit lang so einen Hype, aber meiner Wahrnehmung nach ist der auch wieder zurückgegangen. Es gibt ja auch ein paar Studiengänge, die sind eingegangen. Bremen, dann Frankfurt (Oder) oder Dresden. Das heißt, da gibt es auch gerade einen Rückbau – aus was für Gründen auch immer.
Und gleichzeitig gibt es inzwischen in Deutschland eine ganze Menge an wissenschaftlich qualifizierten Leuten, die promoviert haben. Das ist ja bei solchen Verfahren immer die Grundvoraussetzung: Promotion, einigermaßen einschlägig für das Fach. Und in der Regel musst du für eine Hochschulprofessur, wenn es keine Fachhochschule ist, auch habilitiert sein. Das sind schon deutlich weniger. Und das ist auch eine schwierige Hürde. Wenn du keine offizielle Habilitation hast, dann kannst du aber auch habilitationsadäquate Leistungen haben: Also zum Beispiel diverse Bücher geschrieben haben, irgendwelche Journal-Artikel in dem Thema. Das heißt, die Hürden sind ganz schön groß.
Nichtsdestotrotz gibt es inzwischen viele qualifizierte Leute, weil wir ja jetzt auch schon seit Mitte der 90er-Jahre Studiengänge haben. Weil wir auch mit Gründung des Fachverbands Kulturmanagement das Fach auch in Wissenschaft und Forschung noch mal ziemlich gestärkt haben. Das heißt, meiner Wahrnehmung nach gibt es aktuell deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber für die ganz wenigen wahren Stellen.
Ja, und die Frage, warum ist das wichtig? Klar, solche Verfahren sind immer so: Man trifft sich da zwei, drei Tage und damit entscheidet man eigentlich über die langfristige Zukunft von so einem Studiengang, weil bei uns Professuren in der Regel auf Lebenszeit vergeben werden. Und ich finde, das ist dann schon eine sehr hohe Verantwortung, die man auch spürt. Die Frage, wer würde jetzt wirklich diesem Studiengang gerecht werden, wer trägt dazu bei da was Neues aufzubauen? Wer kann gut Netzwerken mit Menschen an der Hochschule, aber eben auch in der Region? Das sind dann alles Fragen, die einen bewegen, neben der, sag ich mal, wissenschaftlichen Kompetenz, die vielleicht wichtig ist, aber am Ende, wenn es darum geht, so einen Studiengang wirklich ins Leben zu kriegen und am Leben zu halten, ist das nur ein ganz kleiner Bestandteil.
[Kristin Oswald:] (4:28 - 5:03)
Das ist ja im Prinzip eine Person, die in einem Team unterschiedlicher Größe auch ganz stark miträgt, was die nächsten Generationen, die in den Kulturbetrieben kommen, an Kompetenzen mitbringen. Ist das was, weil du gerade schon gesagt hast, es wird ja in diesen Formalien vor allem oder sehr stark auf wissenschaftliche Kompetenz geguckt, aber ist das etwas, wo du auch drauf schaust oder was auch wichtig findest, quasi einzubeziehen, dass da nicht nur jemand ist, der vielleicht die letzten 40 Jahre perfekt in der Wissenschaft war, sondern auch der Dinge vermitteln kann, der vielleicht ein Gefühl für aktuelle Themen hat und in der Lage ist, das auch den Studierenden mitzugeben?
[Birgit Mandel:] (5:03 - 6:45)
Also auf jeden Fall. Ich finde, man sieht allerdings auch schon an den Publikationen, die die ja vorher einreichen müssen, ziemlich genau, für was sich jemand interessiert. Und ich finde auch wichtig, ob jemand in der Lage ist, die eigenen Forschungserkenntnisse auch in den Transfer zu bringen, runterzubrechen.
Und dann gibt es bei diesen Verfahren zum Glück ja auch immer eine Lehrprobe. Und an einer solchen Lehrprobe kann man doch erstaunlich viel ablesen, wie jemand in der Lage ist, mit Leuten zu reden, Studierende wirklich einzubeziehen. Also das hat auch schon einen hohen Stellenwert, aber ich muss sagen, für mich ist auch ein zentrales Kriterium die Vernetzung so einer Person mit der Praxis.
Das ist vielleicht in anderen geisteswissenschaftlichen Studiengängen anders, aber das Kulturmanagement kann ich mir gar nicht denken, ohne eine ganz enge Vernetzung mit der Praxis. Das funktioniert gar nicht. Also du musst dich immer mit der empirischen Realität auseinandersetzen. Und du kannst auch Kulturmanagement nur lehren, vermitteln, lernen, wenn du wirklich etwas tust, wenn du auch anwendungsorientiert arbeitest. Ansonsten bleibt das alles graue Theorie. Und es bleibt auch vor allen Dingen immer bei einem Status Quo hängen und geht eigentlich nicht in die Zukunft, in die Innovation.
Also insofern hat das Thema, hat man eigentlich eine praktische Nähe auch zum Feld, schon jetzt auch hier eine Rolle gespielt. Ja, und das sah natürlich sehr unterschiedlich aus – auch, was die Vernetzung mit der Praxis betrifft. Ich fände persönlich auch noch sehr wichtig, diese regionale Vernetzung, regionale Verankerung mit den Studierenden. Dass man einfach auch Projekte vor Ort macht.
[Kristin Oswald:] (6:45 - 7:42)
Da hängt ja jetzt schon ganz viel drin in dem, was du gesagt hast, was mir so ein bisschen durch den Kopf geht. Der Fachverband Kulturmanagement, du hast das schon angesprochen, und du warst ja auch viele Jahre Vorstandsvorsitzende vom Fachverband Kulturmanagement. Der war ja eigentlich oder ist bis heute ja sehr bemüht, die Wissenschaftlichkeit dieser Disziplinen auszubauen, würde ich jetzt mal sagen, zu unterfüttern – also das auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen. Und ich habe so ein bisschen das Gefühl oder ich frage mich, ob damit nicht auch die Praxisorientierung manchmal ein bisschen verloren geht. Also ich sage mal, in den wissenschaftlichen Qualitätsbewertungslogiken an sich ist ja die Frage, ob ich ein gutes Verhältnis irgendwie zur Praxis habe, erst mal sekundär, sondern die Hauptfrage ist ja, ob ich irgendwie gut in der Lage bin, Forschung zu machen.
Nun kann man fragen, kann ich überhaupt gut Kulturmanagement-Forschung machen ohne die Praxis einzubeziehen oder anzuschauen? Aber ich habe das Gefühl, dass da so ein bisschen eigentlich eine Kluft aufgeht, auch vielleicht bei den Studierenden.
[Birgit Mandel:] (7:42 - 10:03)
Ja, dein Unbehagen kann ich schon verstehen. Aber ich sage noch mal ganz frisch aus meinen Erfahrungen von den letzten Tagen dort in dieser Berufungskommission: Ich fand es erstaunlich, dass vor allen Dingen von den Studierenden sehr positiv bewertet wurde, wenn die Leute in ihren Vorträgen eine gute wissenschaftliche Fundierung hatten. Sie also durchaus auch Theorie-Elemente, bestimmte Begrifflichkeiten reinbrachten oder eben auch eine eigene, solide, empirische Forschung haben. Und ich denke, dass man wirklich in solchen wissenschaftlichen Studiengängen im Kulturmanagement beides gut miteinander verbindet. Weil wenn wir keinerlei eigene Forschung haben, dann können wir eigentlich auch nur irgendwelche Tools und Instrumente aus irgendwelchen Büchern wiedergeben. Und ich finde, das erschöpft sich sehr schnell, auch so aus meiner Erfahrung. Ich bin extrem dankbar immer auch für meine Forschungsprojekte, weil aus denen heraus verstehe ich eigentlich immer, wieso die Praxis so tickt, wie sie tickt. Warum sich zum Beispiel Kultureinrichtungen partout nicht verändern, obwohl das total schlecht für sie selber ist.
Aber dazu braucht es manchmal doch auch eine längere Forschung, um das alles zu begreifen. Sowohl über Theorien, die es gibt, wie vor allen Dingen über eine systematische Analyse der empirischen Praxis. Also insofern glaube ich, es braucht unbedingt beides. Und wie gesagt, gestern fiel mir auf, dass die sehr positiv bewertet wurden, die das auch einigermaßen solide dargestellt haben. Also offensichtlich gibt es auch bei Studierenden den Wunsch, etwas zu lernen, etwas zu vertiefen. Und eben nicht nur Instrumente zu haben.
Und ich glaube, das wird auch jetzt noch mal virulenter, weil die Zeiten sind gerade so sehr im Umbruch, dass ich mich manchmal frage, welche alten Instrumente aus unserem Kulturmanagement-Baukasten brauchen wir überhaupt noch zukünftig? Brauchen wir jetzt vielleicht andere? Und dafür braucht es immer auch, finde ich, einen gewissen theoretischen Überbau. Wenn man einfach mal ein bisschen abstrahiert von der gelebten Praxis, braucht man natürlich eine empirische, praxisbasierte Forschung.
[Kristin Oswald:] (10:03 - 10:18)
Als Reflektionsfläche von außen, oder? Also damit man nicht nur quasi sich der Kulturbetrieb von innen immer wieder selbst bestätigt, sondern du brauchst ja irgendwie eine unabhängige Instanz, die außen eben auch mal draufguckt und sagt, na ja, also allzu viel geändert habt ihr eben nicht in den letzten Jahren.
[Julia Jakob:] (10:19 - 10:30)
Ich hätte noch eine Frage zur Gewichtung der Stimmen: Welchen Einfluss haben denn die Studierenden mit ihrer Bewertung generell?
[Birgit Mandel:] (10:30 - 11:23)
Also mir ist gestern wieder aufgefallen, aber das ist so in all diesen Ordnungen, dass die schon ein hohes Gewicht hatten in der Darstellung ihrer Eindrücke. Die Studierenden waren übrigens, das muss ich jetzt auch noch mal sagen, ganz großartig. Also ich war so beeindruckt von dieser Gruppe. Es waren immer so 20. Die müssen bei so einer Lehrprobe ja auch mitmachen. Die waren also wirklich so schnell und klug und sehr unterstützend. Das ist ja keine leichte Situation. Ja, und die wurden hinterher immer befragt: Also welchen Eindruck hattet ihr? Und das ist dann gut präsentiert worden. Also da haben sie eigentlich einen hohen Einfluss.
Und dann ist es aber doch so in den Verfahren, es gibt immer die Professorenmehrheit und da wird so eine Professorenstimme zählt dann am Ende irgendwie mehr.
[Kristin Oswald:] (11:23 - 11:40)
Ich stelle mir das so ein bisschen vor wie eine Lehrprobe, wenn ich Lehramt studiere und dann sitze ich da vor so einer Klasse und hinten sind aber quasi die anderen, die erfahrenen Lehrer drin. Und einmal muss ich irgendwie diese Klasse von mir überzeugen und dann auch die, die da hinten in der letzten Reihe sitzen und genau gucken, was ich mache. Ist das so ähnlich?
[Birgit Mandel:] (11:40 - 12:11)
Das ist genau so und das ist eine wahnsinnig schwierige Situation. Und natürlich hast du dann, wenn du schon Hochschullehrer, -lehrerin bist, hast du natürlich Vorteile, weil du kannst aus deiner eigenen Praxis was nehmen, was garantiert gut funktioniert. Und du weißt genau, wie du Leute kriegst.
Aber das ist gerade für unerfahrene Leute eine schwierige Situation. Mit Menschen, die du da gar nicht kennst, beobachtet und beschränkt auf 20 Minuten da was Gutes hinzunehmen. Kann ich mir vorstellen.
[Julia Jakob:] (12:11 - 12:14)
Also man hat dann enormen Druck, das nicht zu verkacken, mal auf gut Deutsch gesagt.
[Dirk Schütz:] (12:15 - 12:18)
Absolut. Jeder Musiker kennt das.
[Kristin Oswald:] (12:21 - 13:02)
Aber es gehört ja auch dazu. Und es ist ja auch gut, dass dann externe Menschen wie Birgit dabei sind und quasi nicht nur die Professor*innen von der eigenen Hochschule und die Studis vielleicht gar nicht und man quasi dann so ein bisschen nach der Nase schaut, sondern dass unabhängige Leute dann eben auch schauen und natürlich auch die Studis. Weil man weiß ja, innerhalb der wissenschaftlichen Qualifikation spielt ja Lehre eigentlich keine Rolle, also dass man es mal gemacht hat, aber ob das jetzt gut war oder schlecht oder wie man das bewertet, ist ja in so einem wissenschaftlichen Lebenslauf eigentlich bei die Irren.
Und umso wichtiger, dass dann zumindest in so einem Fall solche Formate und externe Personen das dann auch mit einbringen.
[Dirk Schütz:] (13:02 - 13:03)
Absolut.
[Birgit Mandel:] (13:03 - 13:21)
Und ich fand wirklich erstaunlich, wie schnell man dann aber auch mitkriegt, wie Leute so drauf sind und wie sensibel die Studierenden hier zum Beispiel sind: „Es gab überhaupt keinen Augenkontakt oder ich fühlte mich wie in der Schule.“ Also das sind dann auch so Dimensionen, die haben dann auch durchaus Gewicht.
[Kristin Oswald:] (13:21 - 13:25)
Ja, sehr spannend. Wie geht es denn jetzt weiter in so einer Wahl, dann quasi nach den Lehrproben?
[Birgit Mandel:] (13:25 - 15:05)
Also wir haben eine Abstimmung dann natürlich gestern schon gemacht, eine sehr gründliche, intensiven Austauschanalyse. Und da gibt es in der Regel eine Dreierliste. Und diese Dreierliste, die wird an zwei externe Kolleginnen und Kollegen aus dem Fach geschickt.
Und die haben dann den Auftrag, die gesamten Publikationen, die diese Leute eingereicht haben, auszuwerten, zu beurteilen und dann ein vergleichendes Gutachten zu schreiben. Und dieses Gutachten hat dann auch schon noch mal einigen Einfluss. Und da kommen dann also noch mal zwei Leute mit ins Spiel aus unserem Feld, die erstmal gar nichts mit der Hochschule hier zu tun haben.
Aber am Ende liegt die Entscheidung dann wieder bei uns, der Kommission, wer gewählt ist. Und wir müssen dann eine endgültige Liste festlegen. Also es gibt ja in der Regel immer diese Dreierliste, erster Platz, zweiter Platz, dritter Platz.
Das geht dann aber ja auch noch durch den Fachbereichsrat, durch den Senat, muss von der Universitätsleitung genehmigt werden. Also das dauert alles ewig und da kann auch noch einiges schiefgehen. Und dann ist es auch ganz oft so, dass man Platz Nummer eins erstmal absagt, weil man hat sich eigentlich nur woanders beworben, um seine Chancen zu Hause etwas zu verbessern und nachverhandeln zu können.
Und dann hast du Platz Nummer zwei plötzlich, aber vielleicht sagt zwei auch noch ab. Dann hast Platz Nummer drei. Das heißt, du musst auch damit leben können, mit all diesen drei Plätzen. Und darum gibt es manchmal auch Verfahren, wo zum Beispiel nur zwei Plätze belegt werden. Und man denkt, man kann maximal mit zwei Personen leben.
[Kristin Oswald:] (15:05 - 15:27)
Und dann gibt es ja auch Verhandlungen. Also wenn eine Person ausgewählt ist quasi, dann kann die, dann wird, also soweit ich das weiß, wird quasi ein Angebot gemacht, das ja nicht nur das Gehalt umfasst, sondern auch quasi die Ausstattung der Professur mit Personal oder zusätzlichen Mitteln oder was auch immer. Und darüber geht es dann noch mal in Verhandlungen, sodass man da noch mal schaut, kommt man irgendwie überein mit den Vorstellungen?
[Dirk Schütz:] (15:27 - 15:32)
Absolut, da kann dann auch jemand noch mal wieder abspringen. Also es ist ein ziemlich langwieriges Verfahren.
[Kristin Oswald:] (15:33 - 15:39)
Mitunter wird man auch von der Heimatuni oder dann woanders noch mal abgeworben oder so. Da gibt es ja dann die kuriosesten Dinge, die da passieren.
[Birgit Mandel:] (15:39 - 15:53)
Ja, ja, absolut. Also das war damals auch meine Chance. Ich hatte in Ludwigsburg die Professur und dann hat Hildesheim ordentlich draufgelegt. Da bin ich doch lieber da geblieben. Also sowas geht auch, ne?
[Kristin Oswald:] (15:53 - 15:59)
Ja, sehr schön. Und deswegen ist es wahrscheinlich auch so, die Person tritt die Professur, glaube ich, offiziell dann erst nächstes Jahr zum Wintersemester an.
[Birgit Mandel:] (15:59 - 16:01)
Ganz genau. Also vorher ist es gar nicht zu schaffen.
[Kristin Oswald:] (16:01 - 16:10)
Wie ist denn das? Das ist ja sehr viel Aufwand für dich und für die anderen Gutachter*innen, das alles zu machen. Wird das bezahlt oder machst du das kostenlos in deiner Freizeit?
[Birgit Mandel:] (16:10 - 16:37)
Nein, sowas ist immer kostenlos. Das ist selbstverständlich. Aber ich brauche umgekehrt für meine Verfahren ja auch Hilfe von anderen Hochschulen. Das ist so ein Geben und Nehmen. Und klar, unser Feld ist schon ziemlich klein, was ich zum Teil auch ein bisschen problematisch finde, weil ich werde sehr oft angeraten für solche schriftlichen Gutachten und versuche immer objektiv zu bleiben. Aber eigentlich kennt man ja alle Handelnden schon seit langem.
[Kristin Oswald:] (16:37 - 16:49)
Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber ich meine, ich finde es auch, also man könnte ja durchaus fragen, ob so viel zeitlicher Aufwand nicht auch entschädigt werden sollte, denn immerhin ist ja Freizeit. Du hast ja eigentlich einen Lehrdeputat und Aufgaben an deiner Uni und dann machst du das jetzt so.
[Birgit Mandel:] (16:50 - 17:49)
Ja, also das sehe ich ein bisschen anders. Ich finde, wir haben ja auch lange Semesterferien. Ich finde, wir sind schon privilegiert Hochschullehrende. Und das sehe ich, das gehört zu meinen Aufgaben dazu. Genauso ist es zum Beispiel mit den Promotionen. Also da bin ich sehr oft auch an anderen Hochschulen Zweitgutachterin und umgekehrt brauche ich dann auch wieder Kollegin von anderen Hochschulen, die bei meinen Promotionen dabei sind.
Das gehört irgendwie zu unserem Job dazu. Und ich muss auch noch mal sagen, dass ich das jetzt auch nicht nur als Last empfinde, sondern das ist auch schon sehr spannend, noch mal wieder so zu hören, wie alle zum Beispiel jetzt auch unser Fach „Kulturmanagement“ schauen. Also in meinem Kopf geht da auch ganz, ganz viel los, wenn ich mir alles anhöre. Und es kommen dann auch noch mal so grundlegende Überlegungen, auch zu sehen, wie unterschiedlich man rangehen kann. Also das hat auch eine spannende Dimension.
[Kristin Oswald:] (17:49 - 17:57)
Sonst würdest du es wahrscheinlich auch nicht machen, zumindest nicht in dieser Fülle.
Du hast gesagt, du bist in Hildesheim, aber ich glaube, das dürfen wir verraten, du wohnst in Berlin. Wie schaust du denn auf Berlin im Moment?
[Birgit Mandel:] (17:58 - 20:52)
Ja, jetzt spielst du natürlich auf die Kürzungen an im Kultursektor, die für diese Stadt ziemlich neu sind, sehr unerwartet kommen. Berlin, die Stadt mit dem höchsten Kulturetat pro Kopf deutschlandweit. Und wir dachten, wir waren schon immer „Schaufenster der Kultur“ in Ost- wie West-Berlin. Und wir dachten, das geht immer so weiter. Und es ging auch immer so weiter. Und die Aufwüchse waren, das muss man natürlich auch sagen, so überdimensional, gerade auch nach den Corona-Jahren, das gilt für ganz Deutschland, 14,5 Milliarden Euro, dann in den letzten zehn Jahren 55 Prozent Aufwüchse. Das ist enorm.
Und eigentlich hätten wir uns denken können, dass diese paradiesischen Zustände nicht ewig einfach so weitergehen. Zumal, wenn man hört, also auch in einer Stadt wie Berlin, Jugendzentren wurden schon vor einigen Jahren massiv gestrichen. Schulen sind in desolatem Zustand. Und eigentlich wäre es vermessen zu sagen, aber in vielen Opern, Theater, das soll alles weiter blühen und so weiter.
Was ich daran wirklich problematisch finde zum jetzigen Zeitpunkt, dass es vollkommen unerwartet kommt, dass sich die Einrichtungen nicht vorbereiten konnten. So was braucht ja einen Vorlauf von mindestens fünf Jahren, wenn du deinen Betrieb vielleicht auch noch mal umstellen willst, effizienter machen willst, vielleicht auch mehr auf Eigeneinnahmen setzen willst, auf Vermietung etc. Das braucht einen langen Vorlauf. Und jetzt kommt es komplett unerwartet.
Und, was ich wieder sehr typisch finde für Kulturpolitik in Deutschland, es werden jetzt keine Richtungsentscheidungen getroffen. Was wollen wir eigentlich mit unseren öffentlich finanziellen Kultureinrichtungen für die Gesellschaft, für die Bevölkerung in Berlin erreichen? Was brauchen wir eigentlich?Was brauchen wir vielleicht weniger? Diese Entscheidungen werden wieder nicht getroffen, sondern Gießkanne. Und Gießkanne trifft natürlich die kleinen Einrichtungen ganz massiv, weil die haben dann ungefähr gar nichts mehr.
Aber die großen Einrichtungen trifft es auch gerade heftig, wie die Komische Oper, die Schaubühne, weil die einfach auch in so ein Korsett öffentlicher Tarife eingebunden sind. Und die großen Häuser, die waren um die 800 Mitarbeitende. Und man kann sagen, wenn da diese Kürzungen jetzt stattfinden, dann beschäftigt sich der Betrieb nur noch mit sich selber. Dann finanziert sich der Betrieb nur noch selber, ohne irgendeinen Output zu haben für die Bevölkerung. Und da kann man jetzt auch drüber nachdenken, war das eigentlich notwendig, dass man diese Betriebe so aufgebläht hat? Gäbe es eigentlich andere Organisationsformen, aber das alles hätte man langfristig mit Unterstützung der Kulturverwaltung angehen müssen?
[Kristin Oswald:] (20:52 - 21:32)
Mal ganz viel genau das an Struktur entfällt, was eigentlich für die Teilhabe sorgt. Die Bildungsprogramme, der kostenfreien Museumssonntag, die Formate, die ein bisschen mehr in die Stadt rausgehen, aus den Häusern. Weil das ja auch all die Sachen sind, wo die Leute mit befristeten Verträgen im Projekt zusammenhängend sitzen.
Und die kann ich dann eben mit dem Rasenmäher wegmähen. Und die ganzen Festangestellten im öffentlichen Dienst, die werde ich natürlich erst mal so einfach nicht los. Um es mal ganz blödsinnig zu sagen, also streiche ich halt das, was am schnellsten geht.
Wie gesagt, ohne die Frage ist es aber das Sinnhafteste?
[Birgit Mandel:] (21:46 - 21:51)
Ja, das ist eine spannende Frage, ob das so durchgeben wird. Oder ob es doch noch Rettung gibt.
[Kristin Oswald:] (21:51 - 22:25)
Ich meine, in anderen Städten ist es ja für das nächste Jahr auch schon ähnlich angekündigt. München will groß sparen, Köln, Dresden wollen groß sparen. Also es ist ja ein breites Phänomen.
Ich glaube, Hamburg ist die einzige Stadt, die jetzt für nächstes Jahr das Budget aufgestockt hat. Zumindest die einzige, von der ich weiß. Aber wie du gesagt hast, im Prinzip die fetten Jahre sind vorbei zumindest jetzt erst mal in der Breite.
Ich finde es ja immer überraschend, dass dann alle so überrascht sind. Weil man sich ja eigentlich gedacht hat, dass es ja nicht auf Dauer so gehen kann. Der Kulturbetrieb könnte sich ja auch selber eigentlich darauf vorbereiten. Er müsste ja nicht darauf warten, dass die Kulturpolitik von außen kommt und sagt, zwing mich.
[Birgit Mandel:] (22:25 - 25:24)
Naja, das ist in Deutschland alles ein Sonderfall, wie wir ja auch wissen. Denn in Deutschland hängen enorm viele Einrichtungen – wir sind ja das große Land der Kulturinstitutionen, die alle fest institutionalisiert sind – und es hängen enorm viele Einrichtungen am öffentlichen Tropf. Und das hat so eine lange Geschichte, so eine lange Tradition, dass man sich gar kein anderes Modell mehr vorstellen kann. Und die waren eben dann immer auch in die öffentlichen Rechtsstrukturen eingebunden. Und das sind nun mal nicht die flexibelsten. Und das ist Bürokratismus. Und das kostet enorm viel Geld.
Aber wie gesagt, wir konnten uns überhaupt kein anderes System denken. Wir haben ja auch eine beeindruckende Vielfalt an Kultureinrichtungen auf diese Weise zustande gebracht. Aber in der Tat, das System kommt jetzt an seine Grenzen.
Und ich glaube nicht, dass man den Kultureinrichtungen, den öffentlich geförderten, das jetzt alleine überlassen kann, wie sie damit umgehen, das können sie gar nicht, weil sie so stark immer eingebunden waren. Das öffentliche Tarifrecht und so weiter, die können ja gar nicht Leute einfach entlassen, die sie für vielleicht nicht besonders fähig erachten.
Die können ja gar nicht Leute belohnen, die jetzt richtig gut sind in den transformativen Prozessen. Geht ja alles nicht. Das heißt, da muss schon die Kulturpolitik diese Verantwortung übernehmen. Und das ist ja eine Kritik, die ich schon seit langem an Kulturpolitik Deutschland habe, dass sie eben immer nur additiv vorgegangen ist, um keinen Ärger zu haben. Alles, was neu hinzukam, hat man auch noch gefördert. Ging ja alles in guten Zeiten. Und man hat sich eben gedrückt, unangenehme Entscheidungen zu treffen, die zu heftigen Konflikten führen. Das ist vollkommen klar. Aber ich finde schon, dass Kulturpolitik diese Aufgabe hat.
Und wir müssen uns dann vielleicht jetzt auch an neue Systeme gewöhnen. Also vielleicht sage ich dazu etwas, was für mich extrem anregend war: Ich habe so ein Forschungsprojekt gemacht die letzten drei Jahre, wo wir Kulturpolitik in Deutschland, England und Frankreich verglichen haben. Wir hatten ja auch die von euch mit begleitete Tagung dazu in Berlin. Und da ist mir so klar geworden, dass es in anderen Ländern natürlich eine sehr viel stärkere Steuerung der Kulturpolitik gibt. Also Frankreich hat ja ein ähnliches Kulturverständnis wie wir in Deutschland. Da gibt es ja auch diese in Anführungsstrichen Hochkulturförderung sehr stark. Und Frankreich begreift sich als Kulturnation und investiert viel.
Aber auch in Frankreich werden Einrichtungen nicht dauerhaft gefördert, sondern müssen sich quasi immer neu bewerben und sagen, was sie zu Zielen beitragen wollen. Wenn sie in die Förderung kommen, haben sie Verträge mit Kulturpolitik. Und diese Verträge beinhalten immer auch so etwas wie eine Publikumsentwicklung, ein spezifisches Bemühen um bestimmte Gruppen, die bislang nicht repräsentiert sind, etc.
England: noch viel radikaler –aus unserer Sicht. Da würde so ein Modell wie England, das würde hier überhaupt nicht gehen. Aber ich fand es trotzdem sehr anregend. In England entscheidet das Kulturministerium so alle fünf Jahre ungefähr neue Richtlinien. Und dann werden diese Richtlinien runtergebrochen vom Arts Council, der so die Development-Agentur des Ministeriums ist, neue Förderrichtlinien. Und dann können sich Kultureinrichtungen und müssen sich Kultureinrichtungen, selbst die größten Einrichtungen, neu bewerben: Wie wollen wir diese Ziele realisieren? Mit unseren Möglichkeiten.
Und in England gab es auch aufgrund der Erfahrungen, dass man trotz Mengen an Audience-Development-Programmen das Kulturpublikum nicht verändern konnte. Es war ja nur weiterhin eine eher kleine bildungsbürgerliche, gehobene Gruppe, hat man dann gesagt. Das nützt ja alles gar nichts. Sozusagen das Prinzip Hochkultur für alle irgendwie geht nicht auf. Also machen wir jetzt mal kulturelle Demokratie. Das ist salopp formuliert. Und das aktuelle Programm ist in der Hinsicht schon sehr radikal, weil die großen Kultureinrichtungen können sich bewerben, aber es geht nicht mehr um Kunstwerke. Sondern sie müssen zeigen, sagen, wie sie mit ihren Einrichtungen zum Community-Building, zur kulturellen Bildung, zur Standortaufwertung, zur kulturellen Stadtentwicklung beitragen, wie sie ihre Einrichtungen öffnen wollen. Zum Beispiel für Amateurinitiativen vor Ort, für die freie Szene. Und das sorgt dafür, dass sie diese Einrichtungen also eigentlich alle fünf Jahre irgendwie neu erfinden müssen und transformieren müssen. Oder sie können sagen: „Nö, wollen wir nicht.“ Aber dann gibt es eben auch kein Geld. Und das können die aber auch besser. Das heißt, die Kultureinrichtungen sind viel mehr autonom und unabhängig von öffentlichen Geldern. Weil sie einen viel höheren Anteil an Eigenfinanzierung haben. Der liegt immer bei über 50 Prozent. Auch bei den öffentlich geförderten.
Bei uns zum Beispiel in Deutschland sind es bei den Theatern 6 Cent. Und daran, glaube ich, sieht man auch noch mal... Also, ich will jetzt nicht das englische Modell favorisieren. Das wäre ein solcher Schock für uns. Das würden wir erst mal gar nicht hinkriegen so schnell.
Aber doch mal neue Modelle zu denken, die vielleicht erst mal auch Kulturpolitik einen höheren Einfluss geben. Und gleichzeitig damit irgendwie auch die Einrichtungen entlassen, weil sie haben dann eine klare Vorgabe. Sie müssen nicht alles selber irgendwie versuchen. Aber ja, es hat viele Implikationen, so was jetzt zu machen. Also, ich höre oder hörte auf unserer Tagung als zentrales Gegenargument, was denn, wenn wir jetzt eine AfD-Regierung haben und Kulturpolitik kriegt dann so viel Einfluss? Was passiert dann?
Natürlich, das ist eine Gefahr, wenn Kulturpolitik mehr Einfluss hat, was sie im Moment nicht hat. Sie hält sich ziemlich raus aus allem. Sie vergeht einfach nur Geld und guckt, ob das einigermaßen gut ausgegeben wird. Wenn sie mehr Einfluss hat, kann sie natürlich auch mehr inhaltlich bestimmen und das ist immer eine Gefahr.Also das würde ich nicht von der Hand weisen. Aber vielleicht auch noch als Gegenargument, wenn sie gar nichts machen können oder alles hinter den Kulissen, weiterhin zum Beispiel intransparent Leitungsfunktionen besetzt werden, dann ist die Gefahr der politischen Einflussnahme etwa von rechts ja auch groß.
Und vielleicht noch letztes Argument dazu: In England ist das jetzt auch nicht so, dass der Kulturminister oder die ministerin entscheidet, was da so passiert, sondern da geht es schon auch immer um Juries, Gremien, die mit Fachleuten und mit Menschen aus der Bevölkerung besetzt sind.
[Julia Jakob:]
Vielleicht noch ergänzend dazu, weil ich ja bei der Tagung dabei war und ich auch bei diesem Gegenargument im Kopf sehr gestolpert bin. Ist das jetzt wirklich ein Gegenargument und eine Gefahr, die man so ernst nehmen sollte, dass man sich davor verschließt? Oder muss man nicht sagen, wenn eine rechtsextreme Politik an die Macht kommt, baut die sich sowieso alles so hin und nimmt sich dann vielleicht auch den Einfluss da, wo er bisher noch nicht da ist? Also kann man das wirklich jetzt so verhindern? Oder ist das eine wichtige Chance?
[Kristin Oswald:]
Im Gegensatz ist die Frage, ist finanzielle Unabhängigkeit nicht also auch ein besserer Weg, auch politische Unabhängigkeit zu schaffen? Ich meine auch in den jetzigen Förderstrukturen, sobald du da irgendwie extremistische Vertreter*innen extremistischer Parteien drin hast, können die natürlich Einfluss nehmen. Und nicht nur, weil sie jetzt ein 5-Jahres-Programm schreiben, sondern weil sie genauso gut, und das sehen wir in dem, wie die AfD schon auf verschiedenen Ebenen versucht, Einfluss zu nehmen. Dann werden die Demokratieprogramme gestrichen, dann werden die Leitungspersonen infrage gestellt. In Ungarn, in Polen, in so vielen Ländern ist das in den letzten Jahren passiert. Also es ist ja nicht so, dass das aktuelle Kulturfördersystem in Deutschland völlig dafür gefeit wäre, dass da irgendwie parteipolitisch Einfluss genommen wird.
[Dirk Schütz:]
Ich höre das wirklich mit großer Spannung, weil ich ja selber in meiner Studienzeit genau über sowas geforscht habe hier in Weimar, als ich meinen Abschluss an der Hochschule gemacht habe und eben darüber geforscht habe, wie zum Beispiel die Tonkünstler-Feste in Deutschland von den Nazis mehr und mehr unterwandert wurden und wie dann wirklich das ganze politische System gekippt ist und wie das gleichgeschaltet wurde. Und die Gefahr, die hast du immer. Und wenn ich jetzt die Argumente höre, dass Kulturpolitik da nicht so eingreifen soll, dann frage ich mich einerseits, wozu braucht es dann überhaupt Kulturpolitik? Und andererseits ist das eine sehr naive Vorstellung, diese Denken, dass nur über die Kulturpolitik dann dort in diese ganzen Strukturen eingegriffen wird.
Ganz im Gegenteil, da werden schon ganz andere Bereiche und ein Stadtrat hat relativ schnell Einflussmöglichkeiten, wenn der zum Beispiel aus dem rechten Spektrum sehr, sehr stark besetzt ist. Da können so viele einzelne Bausteine im städtischen Haushalt und in den Dingen, die ein Stadtparlament bestimmen kann, umgeworfen werden. Dafür ist es dann sicherlich ein leichtes, dann den Kulturetat und den Kulturhaushalt als freiwillige Aufgabe auch noch, dann irgendwie unter seine Fittiche zu kriegen.
Also das ist, das zeigt für mich so ein, erstens, oder ich frage mich, ist dann wirklich so ein großes Unverständnis da zu politischen Strukturen, Entscheidungsstrukturen auf allen Ebenen, Kommunen, Land, Bund. Ist das nicht auch eher eine Projektion von der Hoffnung, dass sich möglichst gar nichts verändern soll, die, warum auch immer, die sich einlösen soll, wenn doch in der Welt so viele Turbulenzen, so viele Veränderungen da sind. Und ich finde auch immer wieder spannend zu beobachten, wenn es um Transformation geht, dass man Transformation immer als einen von innen angestoßenen Prozess irgendwie sieht und nie eigentlich begreift, dass man immer in Transformation ist, weil man immer in Veränderungen lebt.
Und ob die nun jetzt so in so einer Fülle stattfinden wie im Moment oder ein bisschen weniger. Ich weiß gar nicht, ob es da mal Untersuchungen gibt, ob es irgendwelche Jahrzehnte gab, wo es mal wenig Veränderungen gab oder wenig Einflüsse gab oder ob es nicht eigentlich immer diese Einflüsse gibt, man nur vielleicht erfolgreicher die einen oder anderen abgewehrt hat. Und als vielleicht noch ein kleiner Gedankengang zu dem, was vorher gesagt wurde.
Es ist schon erstaunlich und man könnte auch deprimierend sagen, dass es wirklich so eine Zäsur durch Corona gab, die alles in Frage gestellt hat, die wirklich erst mal von dem Betrieb, wie wir ihn kannten, so ein Tabula Rasa gemacht hat, dass wir uns diese Chance haben entgehen lassen, nicht darüber nachzudenken, ob unsere Strukturen noch aktuell sind, ob wir nicht was verändern müssen, sondern man im Gegenteil sogar noch mehr Geld und zwar nicht zielgerichtet und nicht strategisch, sondern einfach nur reingekippt hat in den Betrieb, der nur einfach additiv irgendwie dann umgesetzt wurde. Also, dass man da nicht so eine Riesenchance hätte ergreifen können, wirklich mal intensiver darüber nachzudenken, was macht man. Plus, dass man ja auch noch Budgets hätte sparen können, genau für solche Veränderungsprozesse, für solche strategischen Weichenstellungen, die jetzt natürlich nicht möglich waren.
Und ganz zum Schluss, wer dachte, dass all die Gelder, die in den Corona-Jahren einfach ausgeschüttet werden, nicht dazu führen, dass es irgendwann auch mal wieder in den Haushalt zurückgeführt werden muss, weil die sind ja nicht da gewesen, sondern die sind ja aus einer Krisensituation aufgeschlagen worden in Form von Schulden. Der begreift wahrscheinlich gar nicht, wie Volkswirtschaft funktioniert oder wie generell solche Entwicklungen stattfinden.
[Kristin Oswald:]
Ich finde es ganz spannend, dass man denkt, dass irgendwie Einflussnahme etwas ist, was von auskommt. Also, es gibt keine Untersuchungen dazu, aber ich weiß aus Gesprächen, es gibt natürlich auch im Kulturbereich Menschen mit rechten Weltansichten. In den Kulturverwaltungen, in den Häusern, das ist doch ganz klar.
Man ignoriert das gerne weg, weil man denkt, wir sind die Innovativen, wir sind die Weltoffenen, wir sind irgendwie die. Aber wenn man dann schaut, wie viel Konservatismus es da natürlich auch gibt, gibt es da natürlich auch Dinge, die noch deutlich extremer sind als der Konservatismus, den wir auf manchen Ebenen sicherlich treffen. Das heißt, wenn es da zu Veränderungen kommt, dann kann die auch von innen kommen.
Und dann gibt es natürlich auch schon Leute, die quasi bereit sind zu sagen, dann setze ich mich auf den Direktionsposten, weil ich entspreche ja durchaus der Weltsicht dieser Regierungen oder dieser Gruppierungen. Also zu denken, dann kommt irgendwie von außen nur die Kulturpolitik oder der Stadtrat oder die Bundesregierung oder wer auch immer und ist da rechtsextrem. Aber wir hier drinnen, wir beschützen uns.Ich glaube, das ist eine sehr naive und auch so ein bisschen weltignorante Annahme.
[Dirk Schütz:]
Also richtig und es ist absolut nicht nachvollziehbar. Wieso soll ausgerechnet ein Kulturbetrieb, wenn ein Drittel der Gesellschaft, zum Beispiel in Thüringen, AfD wählt, warum soll dann nicht in allen anderen Bereichen der Gesellschaft ein Drittel auch AfD wählen? Ja, also das ist ja absurd zu denken, dass das uns jetzt nicht betrifft.
Und ich finde es so spannend, da liegt ja auch eine Chance drin. Ich war vor, dass es vor zwei Wochen war, haben wir die Kulturfördervereine des Jahres in Thüringen. Es gibt hier einen Preis für Kulturfördervereine. Im Jahr werden zehn Kulturfördervereine des Monats ausgezeichnet und dann zum Abschluss drei Fördervereine nochmal prämiert als die auszeichnenswertesten. Und Benjamin Hoff, unser jetziger noch geschäftsführender Kulturminister, hat da was sehr Spannendes gesagt, weil in dieser Diskussion hatte er darüber referiert, dass allein in Thüringen 800.000 Menschen sich ehrenamtlich engagieren von 2,1 Millionen. Also muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das sind mehr als jeder Dritte. Ein Thüringer engagiert sich ehrenamtlich und er hat eben gesagt, und das passiert quer durch, er hat es sogenannt quer durch den politischen Gemüsegarten. Und genau so ist es. Diese Leute treffen sich in ihren Vereinen, in ihren Freizeitbereichen, in den Dingen, die sie irgendwie bewegen oder wo sie ihr Herz dran verloren haben. Und da ist es in dem Moment auch egal, aus welcher Partei sie kommen oder welche Partei sie wählen oder welchem politischen Spektrum sie sich zuordnen und machen etwas gemeinsam für die Gemeinschaft. Und das ist doch eigentlich etwas, was einen auch sehr versöhnlich und optimistisch stimmen kann, weil dort nämlich tatsächlich auch Dialog zwischen Leuten, denen man in den größeren Kontexten eigentlich die Sprachfähigkeit miteinander abspricht, stattfindet.
Und da könnte man doch eigentlich ansetzen und darüber könnte man doch auch nachdenken. Und das ist sicherlich auch eine Aufgabe für Kultureinrichtungen, nicht jetzt herauszufinden, wer jetzt welches politische Spektrum hat, aber darüber nachzudenken, wir sind die Breite oder das Abbild einer breiten Gesellschaft. Wie können wir denn da gemeinsam im Dialog treten und über gesellschaftliche Entwicklung und unseren Impact als Kultureinrichtung dafür auch nachdenken und das weiterführen?
[Birgit Mandel:]
Ja, vielleicht schließe ich direkt an, weil mir das auch so aus dem Herzen spricht. Ich finde auch, das ist jetzt eine Chance, dass man da plötzlich vor so Umbrüchen steht, nochmal zu gucken, was kann denn Kunst und Kultur wirklich leisten? Und da, ohne das jetzt zu idealisieren oder diese Sonntagsreden wiederholen zu wollen, aber ich bin ganz überzeugt, dass die Künste und kulturelle Veranstaltungen so ein Potenzial haben, dass sie Menschen zusammenbringen können, die sich in ihrem normalen Leben nicht begegnen oder die sich beim Stammtisch sofort streiten würden über politische unterschiedliche Ansichten etc., dass aber eben tatsächlich so künstlerische Veranstaltungen auch so Widersprüche zulassen, dass das da auch einfach mal nebeneinander stehen kann und nicht aufgelöst wird und dass beide Parteien irgendwie Recht haben und dass man trotzdem zusammen lacht und dass man trotzdem zusammen so emotional was erlebt und ich denke, das ist die besondere Kraft unseres Gegenstandes, aber die haben wir irgendwie nicht richtig ausgenutzt.
Ich meine, wir haben so viel Geld in dem System, wir haben so viele Kultureinrichtungen und trotzdem kommt da immer die gleiche sozial homogene Gruppe zusammen und das ist was, was mich sehr bewegt und wo ich mich frage: Wie kriegen wir das hin? Und wenn das jetzt vielleicht auch stärker die Aufgabe für Kultureinrichtungen und auch für die Bestehenden, also sich da wirklich mitverantwortlich fühlen für die Gestaltung eines neuen sozialen Miteinanders, dann finde ich, ist das eine große Chance, statt sozusagen nur l'art pour l'art zu machen.
[Kristin Oswald:]
Birgit, du machst ja schon seit sehr vielen Jahren bis Jahrzehnten eigentlich Kulturpublikumsforschung. Mich würde, glaube ich, einmal interessieren und ich hoffe unsere Hörenden auch, was heißt denn eigentlich Kulturpublikumsforschung? Also man denkt ja immer, man weiß, wer das Kulturpublikum ist oder wie sich das zusammensetzt, aber du hast gesagt, ihr habt jetzt auch gerade eine internationale Studie zur Kulturpolitik gemacht. Wie kann ich mir das vorstellen?
[Birgit Mandel:]
Also Kulturpublikumsforschung im engeren Sinne oder Kulturbesucherforschung würde bedeuten, dass man tatsächlich das bestehende Publikum analysiert und das machen ja auch einzelne Einrichtungen und das kann man natürlich auch machen von außen, nochmal mit ganz anderen Fragestellungen, die für die Einrichtung interessiert eher, wie sind sie auf uns aufmerksam geworden und wie oft kommen sie hierher und so weiter und wie teuer dürfen die Tickets sein? Das sind natürlich Fragen, die einen so übergreifend jetzt mal weniger interessieren, es sei denn, man hat einen BWL-Kulturmanagement-Zuschnitt, sondern es interessieren uns natürlich dann eher wirklich Fragen der kulturellen Teilhabe, der Soziodemografie, kulturellen Verständnis der Einstellungen.
Also das ist ein Teil von Publikumsforschung, aber was mich ehrlich gesagt viel mehr interessiert, ist die sogenannte Nichtbesucherforschung oder Bevölkerungsbefragung, weil man einfach sagen muss, es kommt immer neu raus, dass das Kernpublikum acht bis zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht und der Rest, der interessiert sich zumindest nicht für die öffentliche Förderung. Darum ist es viel spannender zu gucken, was ist das eigentlich, was die Leute bewegt und eben gleichzeitig aktuell noch, das war ja unsere letzte Bevölkerungsstudie von 2020, in der wir nochmal mit Fokus auf das Theater dezidiert herausfinden konnten, es sind acht Prozent, die es relativ regelmäßig nutzen und es sind 86 Prozent der Bevölkerung, die sagen, diese Einrichtungen sollen trotzdem auf bisherigem Niveau so weitergeführt werden, das heißt, es gibt dann auch wiederum eine hohe Akzeptanz und was macht man aber mit diesen beiden Werten, was leitet man da jetzt eigentlich kulturpolitisch draus ab, das finde ich dann auch spannend. So eine Publikumsforschung ist auch nicht l'art pour l'art, sondern – finde ich – muss immer einen Impact haben.
[Dirk Schütz:]
Da würden mich zwei Sachen interessieren. Einerseits, wenn sich die Zahl derer, die die öffentlichen Angebote nutzen, nicht ändert, heißt das ja trotzdem, dass man irgendwie Leute erreichen muss in irgendeinem Alter, die dann wieder unter die acht Prozent fallen, weil ja, wenn man sagt, das Publikum wird älter, irgendwann sterben die ja weg, trotzdem bleibt die Nutzung gleich, also man muss irgendwie jemanden erreicht haben. Kann man nachvollziehen, wer das ist oder wo die herkommen? Und das Zweite, das finde ich auch wiederum interessant, wenn so eine hohe Akzeptanz da ist und das ist ja wirklich erstaunlich, dass man sagt, acht Prozent nutzen es nur, aber über 80 Prozent, und das schwankt manchmal glaube ich auch, befürworten trotzdem, dass es die Einrichtungen gibt, beziehungsweise lehnen sie ab, dass die geschlossen werden, weil es wichtig ist im Kontext der Angebote von Städten. Wie reagieren eigentlich Kultureinrichtungen auf dieses Potenzial und nehmen die das einfach nur als, naja, wir haben ja 85 Prozent, die uns trotzdem gut finden, auch wenn nur acht Prozent hingehen und das ist gut so, um es mal mit oberrheinischen Worten zu sagen, oder liegt da nicht auch eine Verantwortung der Kultureinrichtungen da drin, eben auch, und wenn es nur ein Dank in irgendeiner Art und Weise ist, den zurückzugeben und den Leuten zu sagen: „Auch wenn ihr nicht kommt, Merci, dass ihr uns trotzdem haben wollt.
[Birgit Mandel:]
Ja, das ist ein witziges Bild. Also ich sage noch mal zu diesen acht Prozent und der Frage, wachsen die automatisch nach, weil es sind immer eher die Älteren, das weiß man auch. Also ein Forscher aus unserem Feld, Reuband, hat lange Zeit Studien gemacht und hat herausgefunden für Deutschland, dass die nicht automatisch nachwachsen, sondern dass sich langfristig die kulturellen Präferenzen in der deutschen Bevölkerung verändern, zugunsten von populäreren Kulturformaten und zu Ungunsten der klassischen Formate.
Und das war auch einer der Hauptgründe für unser DFG-Forschungsprojekt zum Theater. Es ging um die Krise der Theater und in unserer Bevölkerungsbefragung war eines ganz deutlich. Signifikante Abnahme der Zustimmung für Theaterförderung bei den jüngeren Bracken, auch bei denen mit hohem Bildungsniveau. Das heißt, man spricht davon, es gibt ja vielleicht wirklich den endkulturativen Bruch, dass die anderen nicht automatisch in das Kulturerbe ihrer Eltern reinwachsen. Und das hat auch mit Migration zu tun, es hat mit Digitalität zu tun, weil sich da auch Ansprüche an Kulturräume verändern. Und das nehme ich schon auch ernst. Also das heißt, auf Dauer, glaube ich, sind die klassischen Einrichtungen, wenn sie sich nicht ändern, wirklich bedroht.
Und es gibt natürlich ein paar Einrichtungen, die haben sich verändert. Also eines unserer Fallbeispiele war etwa das Magen-Gorki-Theater, was sich ja als postmigrantisches Theater neu aufgestellt hat und damit ein signifikant diverseres, jüngeres, aber eben doch auch immer noch hoch gebildetes Publikum hat. Aber die waren auch zum Beispiel bezüglich jüngerer Leute, ich finde das total klasse, so radikal zum Beispiel zu sagen: „Bei uns auch kein Stück länger als anderthalb Stunden Tatortlänge, weil die Leute haben keine Lust, hier stundenlang rumzusitzen. Die wollen danach noch quatschen, noch in die Bar gehen und so weiter.“ Und das geht ja alles gar nicht, wenn du die, sag ich mal, Castorf‘schen Stücke von fünf Stunden, vielleicht auch noch Klassiker neu aufbereitet anschauen musst. Das heißt, ich glaube, da muss man auch zu Veränderungen in den Programmen, in den Formaten, darauf bereit sein, zu bleiben.
Ja, und vielleicht noch zu deiner anderen Frage, also jetzt nehme ich mal die Einrichtungen ein bisschen in Schutz. Ich glaube, so richtig ausruhen tun sie sich nicht auf diesen 86 Prozent Zustimmung und denken, ist doch alles in Butter, alle lieben uns, ist doch egal, ob sie kommen. Sondern ich erlebe schon eine große Geschäftigkeit, eine geradezu große Hektik in der Entwicklung neuer Formate, Stadtprojekte, Programme, Vermittlungsabteilungen werden aufgestockt. Aber ich erlebe es gleichzeitig als unsystematisch nicht strategisch mit Audience Development verbunden, als zum Beispiel in Frankreich. Das muss da alles unmittelbar einzahlen auf das Ziel, dann auch das Publikum zu helfen.
[Kristin Oswald:]
Und das dauert natürlich auch. Also ich fange ja nicht heute ein Bildungsprogramm an und morgen kommen die ganzen 15-Jährigen und schreien, juhu, ich gehe jetzt für immer ins Theater. Das muss man sich natürlich auch klar machen.
Und wenn ich da dann eben wieder mit dem Rasenmäher drübergehe und die Bildungsprogramme wegmähe, dann mähe ich halt das Kulturpublikum im Prinzip der Zukunft damit in gewisser Weise auch weg. Ich habe ein Interview geführt mit dem Geschäftsführer des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft, das wird auch als Podcast erscheinen, und der hat gesagt, sie setzen tatsächlich, also die Veranstaltungswirtschaft setzt tatsächlich auf kulturelle Bildung, auch um überhaupt eine Basis für zukünftiges Personal zu schaffen. Also wir reden ja nicht nur über Publikum, sondern wir reden ja auch darüber, dass man auch in 20, 50, 100 Jahren noch Menschen braucht, die im öffentlichen Kulturbereich, aber natürlich auch in allen anderen, arbeiten möchten. Und ich fand es ganz eindrücklich, dass er sagt, sie bieten auch so Informationsveranstaltungen überhaupt erst mal für Schüler*innen an, die teilweise überhaupt keinen Zugang, selbst zum Bereich Konzert zum Beispiel, haben, weil ja die Pandemie natürlich auch ganz viel kaputt gemacht hat in dieser Generation. Und also zu sagen, es geht ja nicht nur, es geht auch um das Publikum und das ist sehr essentiell, aber es geht natürlich auch um das Personal und wirklich um die Zukunft, denn wir befinden uns im demografischen Wandel. Und ich sage mal, wenn wir uns die Prognosen anschauen, wie wird sich denn unsere Gesellschaft allein demografisch verändern in den nächsten 20 bis 50 Jahren, das ist fatal.
Und ich glaube, dass wir bisher so bei diesen 8 Prozent relativ konstant waren, liegt auch daran, dass wir im Prinzip diese sehr große Gruppe der Nachkriegsgeneration und Babyboomer natürlich noch da waren. Wenn das entfällt, dann entfällt ja das auch auf allen Ebenen: Dann gibt es weniger Publikum, es gibt weniger Personal und es gibt einfach weniger Menschen grundsätzlich, die irgendwie Bedarf an Kulturangeboten haben. Und dann müssen wir uns natürlich fragen, brauche ich irgendwie meine drei großen Theater in Berlin noch oder brauche ich irgendwie diese Fülle an Angeboten tatsächlich noch für eine Zahl an Menschen, die grundsätzlich einfach viel kleiner ist, als die, über die wir jetzt sprechen. Da hängt ja wahnsinnig viel dran, wo, glaube ich, die Auswirkungen noch gar nicht durchdacht sind.
[Dirk Schütz:]
Ich glaube, der Bedarf an kulturellem Angebot ändert sich nicht. Also, der wird immer da sein, aber er ändert sich in dem, was man unter Kultur versteht. Also, wenn die einen sagen, Theater ist es nicht mehr für mich, dann gucken die aber sehr wohl vielleicht theatralische Dinge in einem ganz anderen Kontext an. Und dann ist eben für die eine Doku-Fiction im Fernsehen oder ein Game, dann ist das das Theatrale oder irgendwelche Avatar-Dinge, die sie mit anderen machen. Und das ersetzt das. Also, ich glaube schon, das Bedürfnis nach Kultur wird sicherlich nicht weniger, aber es wird anders.
Und das, was man unter Kultur dann versteht und unter kulturellem Angebot, ändert sich auch. Natürlich, weil eben so massive Veränderungen in Seh- und Höherlebnisgewohnheiten, Nutzungsgewohnheiten und so weiter sind. Und das ist ja auch, wir hatten ja nun in einem unserer letzten Podcasts auch die Veranstaltung, wo wir in Frankfurt jetzt waren mit dem Fachverband. Da zielte genau meine Frage darauf ab: Was ist denn eigentlich, wenn wir diese ganzen großen Einrichtungen und Häuser da haben als Immobilien, einfach nur als Immobilien, aber keiner mehr hingeht? Was macht man denn damit? Macht man dann aus Angst, dass da nicht so ein großes Haus einfach leer steht, weiter, so wie man das gemacht hat? Oder transformiert man tatsächlich die Nutzung? Und wie geht man daran?
Und wenn ich an Erfurt zum Beispiel denke, dort ist es ja genauso gewesen, dass man ein Theater geschlossen hat, das Schauspielhaus. Und jetzt ist es als Genossenschaft gerade wieder am Aufblühen und kommt sogar im Kontext der Rente, zufälligerweise war eine der Vorständinnen mit in dieser Gruppe dabei war, über den Bericht zum bürgerschaftlichen Engagement in Form von der Besetzung der Stasi Zentrale in Erfurt, die die erste in Ostdeutschland war. Zudem im bürgerschaftlichen Engagement, dass sie eben auch mit dem Vorstand für diese neue Genossenschaft ist und da einfach mit dem Kulturquartier etwas völlig Neues, mit einer sehr, sehr ausdifferenzierten, unterschiedlichen Nutzung und eben nicht nur als Schauspielhaus, sondern mit sehr, sehr vielen Angeboten unter allem da. Dann eben auch sogar in solche öffentlichen Medien.
[Kristin Oswald:]
Ich glaube es wird, also was ich meinte, war, die Nachfrage wird dahingehend weniger, als es halt weniger Leute gibt. Wenn ich 20 Prozent weniger Menschen habe, dann habe ich einfach, dann gleichen die das ja nicht aus. Also die 80 Prozent, die ich dann noch habe, die erhöhen ja nicht ihr Kulturbedürfnis so stark, dass ich trotzdem diese 100 Prozent quasi anbieten kann, die ich jetzt habe.
Das heißt, wir hatten vorhin im Vorgespräch kurz darüber gesprochen, wenn wir jetzt darüber reden, dass es ja auch ganz viele Kulturneubauten gibt. Die Frage, was ist denn mit denen in 100 Jahren und genau nämlich auch, macht es überhaupt Sinn, dass ich heute noch ein Opernhaus baue, das nur Opernhaus ist und sonst aber eigentlich erst mal nichts anderes? Können wir das irgendwie auch noch rechtfertigen, wenn wir über Steuergelder und solche Dinge nachdenken, dass wir auch diese Trennungen zwischen den Häusern, zwischen diesen Institutionen, zwischen den Sparten, dass wir das alles so aufrecht erhalten und sagen, das eine gibt es da und das andere gibt es da und die, die unsere Kultur nicht wollen, die müssen halt irgendwo anders hingehen.
[Birgit Mandel:]
Ich meine, natürlich gibt es jetzt auch in Deutschland seit ein paar Jahren diese Trenddiskussionen um Kultureinrichtungen als dritte Orte. Egal, wie man das Ding jetzt nennt, aber dass sie eine Mehrfachnutzung haben müssen. Ich glaube, anders geht es nicht. Und wir haben natürlich in Deutschland auch wirklich diese Sondersituationen. Das hat, glaube ich, auch kein anderes Land auf der Welt, dass wir so viele öffentliche Kulturbauten haben. Jede Stadt, die größere Stadt hat ihr eigenes Theater und so weiter. Die sind mitten in der Stadt. Und das ist eigentlich natürlich auch toll, dass wir da so öffentlich nutzbare Gebäude haben im Zentrum der Städte. Das ist ja eigentlich auch ein Wert, dass sie nicht kommerzialisiert wurden, dass wir die noch haben.
Aber ich glaube, man muss jetzt sehr differenziert überlegen – jedes einzelne Bundesland, jede Kommune: Was machen wir mit diesen Bauten? Welche kulturellen Interessen und wessen kulturellen Interessen lassen sich darin realisieren? Und ich finde immer erstaunlich in Deutschland, obwohl wir föderal sind, auch in der Kulturpolitik, dass alle immer das Gleiche machen bislang. Und dass wir da so traditionell sind, auch mit unseren Gebäuden und ihrer festen Nutzung und den Opern und dem Opernkanon und schon seit 100 Jahren so. Und das machen wir überall weiter. Und ich glaube, das ist jetzt vielleicht ein Punkt, wo wirklich so eine Umbruch kommen kann. Und wo vielleicht einzelne Städte auch mal mutig sagen, wir probieren jetzt mal was. Und zwar nicht fehlerfrei. Es kann sein, dass das absolut nicht klappt. Aber macht nichts. Haben wir mal zwei, drei Jahre probiert. Machen wir mal was anderes. Also ich glaube, dass wir uns jetzt wirklich mal lösen von diesen ganzen eingefahrenen Spuren. Das wäre gleich der Moment. Das wäre auch der Vorteil.
[Dirk Schütz:]
Der einzige Vorteil von Kürzungen. Ja, und ich finde es immer wieder erstaunlich. Es gibt so viele Beispiele auf der Welt, wo es eben Mischnutzung, unterschiedliche Konzepte gibt, dass es da kein Reisen gibt oder kein Benchmarking gibt, wo man einfach mal schauen kann, wie lösen das andere. Man muss ja gar nicht so weit fahren in Dänemark und in den skandinavischen Ländern gibt es ganz viele Beispiele für ganz unterschiedliche Nutzungen. Ich werde nie vergessen, als ich Anfang der 2000er in Kanada war. Hauptsächlich war ich im dortigen Theater. Die haben sich hauptsächlich durch ihr perfekt gelegenes Parkhaus unter ihnen finanziert. Also wo man gar nicht dran denken würde erstmal. Also all solche Sachen.
[Kristin Oswald:]
Wenn wir jetzt mal außerhalb der westlichen Länder gucken, so ein bisschen in den Global South und was dort eigentlich Kultur bedeutet. Und dort trennst du eigentlich Kultur gar nicht von Community, sondern das ist so eng miteinander verzahnt, dass das Kultur immer aus der Community und für die Community passiert. Auch in den Institutionen und dort. Da gibt es ja auch ganz spannende Forschungen dazu, dass ja im Prinzip mit dem Kolonialismus, dass diese europäische Idee von Kulturinstitutionen in diese Länder getragen wurde. Und dann zu gucken, was ist eigentlich daraus geworden. Und ganz oft ist es ja eben genauso, dass das dann eigentlich in diese Community-Idee dieser Häuser auch integriert worden.
Und bei uns ist das eben auch so stark getrennt. Es wird ja immer, also Publikumsorientierung ist ja auch so ein abfälliger Begriff eigentlich so im deutschen öffentlichen Kulturbetrieb, dem man eben auch einem Qualitätsverständnis eigentlich entgegenstellt und sagt, also Qualität. Das Publikum weiß ja gar nicht, was Qualität ist. Und das, was das Publikum will, kann ja gar nicht quasi qualitativ so hochwertig sein, wie das, was wir uns überlegen. Und das ist ja höchst problematisch, mal davon abgesehen. Ich habe das in der Pandemie immer gedacht, wenn die Theaterintendanten dann beim Deutschlandfunk sagten, ohne Theater gibt es keine Kultur, was ja völlig vermessen ist, zu sagen, also Bücher, Musik, Filme, Serien, all das ist natürlich auch nur.
Und auch bei all dem weiß das Publikum natürlich ganz genau, was er will.
[Dirk Schütz:]
Du würdest locker sehr, sehr viele Leute finden, die auch ein Fußballmatch in ihrem Stadion als kulturellen Event sehen, weil das auch Rituale hat, wirklich kulturelle Rituale, mit denen das Ganze aufgeladen ist und nur so funktioniert. Das hat man ja gesehen, als die Stadien leer waren und da war plötzlich das Schauen von Fußball ein ganz anderes Erlebnis, weil du gedacht hast, irgendwie...
[Julia Jakob:]
Ja, die Geisterspiele.
[Dirk Schütz:]
Ja, diese Geisterspiele lernten mich jetzt nicht hinterm Ofen vor. Das einzig Spannende war, dass man mal wirklich gehört hat, was Schwein die Fußballspieler sich gegenseitig zu, oder auch die Trainer, dass man mal gehört hat, was die dann ihren Spielern zugerufen haben. Aber ja, auch das, und die arbeiten ja eben genau mit solchen Dingen auch.
Also vielleicht Theaterleute würden das nicht so sehen, Es gibt immer wieder Verbindungen auch von Kunstmuseen, Theater mit Fußball und anderen Sportdingen oder noch anderen Gesellschaften.
[Julia Jakob:]
Ja, das heißt halt, nur die Personen, die dort arbeiten, sind eigentlich gleichzeitig auch Fan von einer Mannschaft im Sport, weil sie so viel damit alles machen.
[Birgit Mandel:]
Ja, aber auch nochmal der von euch angesprochene Aspekt, dass man dem Publikum nicht zutraut, einen eigenen Geschmack zu haben und dass der keine Rechtfertigung hat, dass man alles den Experten überlässt. Das ist eine tatsächlich etwas vermessende Haltung, die ich interessanterweise internationalen Vergleich auch woanders weniger gefunden habe. Auch wieder extrem, bei Spielengland, dort wird die Publikumsmeinung sehr wertgeschätzt.
Und insofern hat der Markt auch einen größeren Einfluss an uns. Es ist ja Markt, nämlich man lässt auch das Publikum mitentscheiden. Und das ist, glaube ich, etwas, wo wir jetzt auch nochmal umdenken müssen.
Denn ich nehme so wahr, in den Vermittlungsabteilungen votiert man immer für möglichst viel Partizipation. Die hört aber sofort auf, wenn es um die Programmgestaltung geht. Das ist doch sehr widersprüchlich.
Aber ich glaube, dass das dickste Brett, was zu bohren ist, ist, Kuratoren, Dramaturgen etc., auch da in eine andere Offenheit zu bringen und nicht ihren eigenen künstlerisch-ästhetischen Geschmack sozusagen als die Mensch per se zu sein.
[Kristin Oswald:]
Es gibt ja auch in Forschung tatsächlich schon Partizipation im Museum. Also wenn zum Beispiel Ausstellungen entstehen und man da auch die Angst hat, dass die vielleicht qualitativ nicht so gut sind und dass das Publikum das auch merkt. Und es gibt dieses Buch von Anja Piontek zu Museum und Partizipation.Und sie hat, glaube ich, eine Besucherfrage gemacht. Und da kam eben raus, also für das Publikum selbst sind diese partizipativen Angebote gar nicht unbedingt in der eigenen Mitgestaltung, sondern in der inhaltlichen Ausrichtung. Genauso, wenn nicht viel spannender als das, was ein Museum beispielsweise alleine anbietet, weil es natürlich viel lebensnäher ist, weil es viel greifbarer ist, weniger abstrakt.
Also von daher ist es natürlich, und ich finde das immer sehr schwer zu beantworten, die Frage, wer legt eigentlich fest, was Qualität im Kulturbereich ist? Auch bei künstlerischer Produktion, bei Formaten finde ich ganz schwer, auch objektiv zu beantworten. Aber du bist ja als Forscherin. Was gibt es denn da für Möglichkeiten, quasi Qualität so zu fassen, dass sie nicht nur auf subjektiv geht.
[Birgit Mandel:]
Ich glaube, das ist nicht zu fassen. Also ich glaube, es gibt keine absolute Qualität. Das ist schon vermessen, das behaupten zu wollen, dass da jemand gibt, der die absoluten Qualitätskriterien hat.
Aber da will ich jetzt nicht sagen, es darf überhaupt keine Expert*innen-gesteuerte künstlerische Produktion mehr geben. Die hat auch ihre Berechtigung, weil die zum Beispiel häufig zu Innovationen führt, was man vielleicht mit so einem Mainstream-Urteil eher weniger machen würde. Ich finde nur, man muss diese Einrichtungen, die das tun sollen, die künstlerische Qualität definiert durch Expertengremien machen sollen, die muss man klar definieren und vielleicht auch begrenzen. Und die können das dann machen. Und das ist auch wichtig. Und da kann dann künstlerische Produktion auf Avantgarde-Niveau weiterentwickelt werden.
Aber ich finde, das müssen ausgewiesene Einrichtungen sein. Und andere Einrichtungen, gerade solche, die vielleicht dezidiert auch den Namen haben, wie Stadttheater, sollten doch dann eher darauf basieren, was für viele Bürgerinnen und Bürger einer Stadt relevant ist.
[Dirk Schütz:]
Also ich finde auch immer, das ist so eigentümlich, wirklich Angst zu haben, dass einem die Expertise aus der Hand genommen wird, wenn man sich an Publikumsgeschmack oder an Community-orientierten Dingen orientiert. Gerade wenn man auf internationalen Tagungen ist. Und wirklich, das ist ja immer lustig, dass dann viele Leute aus Deutschland dann sagen, wenn sie internationale Beispiele sehen, wenn amerikanische Museen zu bestimmten Ausstellungsinhalten dann wirklich große Publikumskreise mit einbinden bei der Vorbereitung von Ausstellungen in interaktiven, digitalen Formaten. Ja, die erwarten ja aber dann trotzdem, dass Expertinnen und Experten dann mit dem Input, den sie gekriegt haben, etwas Schönes auch und etwas Wertvolles und Bemerkenswertes gestalten. Die sprechen denen die Expertise gar nicht ab. Die möchten einfach, also die finden es toll, wenn sie beteiligt sind und wenn sie was mitmachen können.
Und dann geben sie das selbstverständlich in die Expert*innenhand wieder zurück und sagen, und jetzt überrasch‘ uns doch mal oder zeig uns mal, was das wirklich in der großen Welt mit deinem Blick bedeutet. Also keiner von denen möchte jetzt, dass Frank, Bernd, wer auch immer aus dem Publikum jetzt diese Ausstellung macht. Ja, das ist so eine eigentümliche Angst, glaube ich, auch die man langsamer ablegen kann.
Und die braucht es auch nicht, um Expertinnen und Experten zu sein, sondern diesen Zuspruch hat man schon per se, wenn man auch da den Hintergrund hat und dort in der Einrichtung arbeitet, auch von dem Publikum. Und selbst wenn man mal eine Ausstellung gemacht hat, die nicht so gut funktioniert, ja, dann sind wir immer noch bei dem Thema, kann ich auch daraus lernen? Und vielleicht mache ich es eben das nächste Mal doch so, dass ich mehr Publikum im Vorfeld einbinde und das auch teste.
Denn das ist nämlich auch ganz schön zurückgegangen. Diese Pre-Testing-Phasen von Ausstellungen und ähnlichen, die dazu führen, das ist auch ein ganz anderer Zuspruch.
[Kristin Oswald:]
Man weiß das ja eigentlich sehr gut aus den Citizen Science, also partizipative Wissenschaft. Das ist ja auch ein sehr großes Forschungsfeld, also dass man partizipative Formate in der Wissenschaft selbst erforscht und ich kann das aus eigener Erfahrung sagen, weil ich ja jetzt drei Jahre auch in einem Citizen-Science-Projekt mitgewirkt habe. Das ist genau, wie du sagst. Also zum einen ist es und das ist sicherlich auch den Strukturen geschuldet im Moment die Hürde, also auch die geistige Hürde, sich an sowas zu beteiligen, auch in der Hochkultur. Also ich sage mal, damit jemand irgendwie das Gefühl hat, er kann jetzt in ein Museum gehen oder sie und dort mitwirken. Das ist ja irgendwie gar nicht in den Köpfen da.
Und bei der Wissenschaft ist es ja genauso. Also die Hürde ist natürlich sehr hoch und das sind auch eigentlich Menschen, die das machen, die dem Kulturpublikum natürlich sehr ähnlich sind, sehr gut gebildet sind und so weiter. Aber trotzdem bekommt man als forschende Person die Expertise nicht abgesprochen, sondern das ist, die Teilnehmenden freuen sich, einen Einblick zu bekommen, auch mal etwas zu lernen über Arbeitsweise. Das haben wir ja in der Kultur beispielsweise auch in der Kulturkommunikation über Arbeitsweisen und sowas wird ja gar nicht gesprochen, wird ja gar nicht transparent gemacht. Und man freut sich da mal, einen Einblick zu bekommen. Wertgeschätzt zu werden, was mitgeben zu können.
Aber dieses Bedürfnis auch danach, der Sicherheit durch Expertise, also dass die Leute zu den Organisationen gehören, die Expertise haben und den Rahmen vorgeben und irgendwie dafür sorgen, dass nicht alles völlig aus dem Ruder läuft. Dieses Bedürfnis danach ist schon sehr hoch. Trotzdem verändert sich das Produkt und das, was am Ende auf jeden Fall dabei rauskommt. Aber es ist nicht so, dass dann quasi die Massen das Capitol stürmen und die Flagge aufstellen und sagen, wir machen jetzt die Kultur und alle Expert*innen wollen wir nicht mehr. Gar nicht. Aber es verändert natürlich das Verhältnis, dass man zueinander, dass die Kulturschaffenden irgendwie zu zum Publikum, zur Öffentlichkeit haben und auch das Öffentlichkeitskultur hat.
Und als jemand, der sich ja viel mit Kommunikation beschäftigt, habe ich jetzt in den letzten auch wieder gefragt, ob das Problem auch mit den Kürzungen nicht auch ist, dass Kultur über diese Punkte gar nicht kommuniziert. Also man findet das nicht irgendwie in, was weiß ich, in sozialen Medien oder in was auch immer werden Produktionsbedingungen, Produktionsvoraussetzungen auch. Ich habe mich dann gefragt, okay, dann kommt jetzt jemand und sagt kurz mal 10 Prozent.
Aber man kann gar nicht einschätzen, wie viel kosten denn so Mitarbeitende am Theater? Wie viel kostet das denn so ein Theater einfach an dem? Wie viele Leute stecken dann dahinter?
Also mit anderen Worten als Öffentlichkeit kann ich die Tragweite dessen, was passiert, gar nicht abschätzen, weil ich weiß gar nicht, was das auf der praktischen Ebene bedeutet. Und ich glaube, dass man als Institution damit auch eine Chance verdient. Weil ich könnte ja jetzt hingehen und sagen, okay, passt auf, wenn wir 10 Prozent streichen, dann passiert mit uns das, dann müssen wir das, dann muss das entfallen, dann müssen wir da was wegnehmen, dann muss das und das, und damit mal rauszugehen. Aber es passiert ja nichts.
[Dirk Schütz:]
Damit ist man ja auch nicht allein. Du hast genau dasselbe Problem, wenn du nur in die Pflege guckst. Kein Mensch weiß, was diese Menschen alles noch da zusätzlich tun müssen und wie viel überfordernde Dinge auch entstehen, dadurch das Personal vielleicht fehlt oder dass eine überbordende Bürokratie entsteht und man eigentlich den Kern dessen, warum man den Beruf ausgewählt hat, nämlich weil man etwas für Menschen tun kann, die dafür gar keine Zeit mehr hat.
Ja, also ich glaube, das ist auch immer für mich so interessant. Würden viele Kulturleute auch mal stärker einfach nur im Umkehrschluss auf ihr Publikum gucken und mal gucken, was ist eigentlich das Bedürfnis, was dahinter steckt, dass die Leute ins Theater kommen? Das ist auch sehr unterschiedlich: Die einen möchten sich vergnügen, die anderen möchten vielleicht doch mal eine soziale Anerkennung, weil sie dabei sind. Der Nächste will den Streit mit wem auch immer vergessen, was auch immer dazu führen. Das sind ja alles so Dinge, die man damit beachten kann.
Und da kommen ja keine Leute, die keine Ahnung haben. Die haben eben in anderen Dingen Ahnung und ich liege aber was an und kann dann doch sagen, okay, mir ist es auch wichtig, dass du etwas dazu sagst. Und ich finde es toll, dass du da bist.
[Julia Jakob:]
Um vielleicht noch mal an Kristins Ausgangsfrage anzuknüpfen, inwieweit Kultureinrichtungen ihre Kommunikation verbessern müssten, frage ich mich auch, inwieweit das die Kommunikation zwischen den Einrichtungen und der Kulturpolitik betrifft. Also findet die bislang noch nicht so statt, wie man es eigentlich erwarten würde, dass die Kulturpolitik ganz genau weiß, was die Kultureinrichtungen brauchen und andersrum, warum in der Kulturpolitik mitunter Entscheidungen getroffen werden, sodass eben auch die Kultureinrichtungen selber die kulturpolitischen Logiken bislang noch nicht so verstehen, wie sie eigentlich sollten?
[Birgit Mandel:]
Ja, ich glaube schon, dass die öffentlich geförderten Einrichtungen mit der Kulturverwaltung in ständigem Kontakt sind, aber sicherlich nicht mit der Kulturpolitik, die am Ende entscheiden. Und nichtsdestotrotz hätte ich auch an Verwaltung den Anspruch, dass sie mehr wie England sich zur Development-Agentur entwickeln und wirklich die Einrichtungen dabei unterstützen, sich anders aufzustellen.
Solche Transformationsprozesse sind natürlich extrem schwierig. Sie sind es umso mehr in so Einrichtungen mit langjährig gewachsenen Strukturen, wie das bei uns ist. Das ist ja alles eingeschrieben in die Abteilungen, in die Menschen. Und ich mache gerade ein Forschungsprojekt mit Studierenden gemeinsam, wo Führungskräfte dazu befragt haben in Deutschland und in der Schweiz zu der Frage, wie bei ihnen in ihren Häusern Transformationen gelingt: Und da habe ich ehrlich gesagt schon sehr, sehr viel gelernt über die ganzen Hürden und sehe, dass es so eine Herkulesgabe und – was alle eigentlich auch da artikuliert haben: Die geht nicht, ohne dass sie durch die Politik Rückhalt und massive Unterstützung bekommen, auch mal wirklich Befehle von oben, weil das können sie gar nicht durchsetzen – gegen vielleicht den Willen einzelner Mitarbeitenden, Personal, was alles mit anhängt. Also ich glaube, dass der Austausch intensiviert werden müsste.
[Dirk Schütz:]
Auf jeden Fall. Also das ist mein Erlebnis in ihren vielen Verwaltungen, auch unterwegs oder in Städten, Kommunen, wenn ich berate, auch allein die Übersetzungsleistungen zwischen Politikverwaltung, Kulturproduzentinnen und Produzenten ist gigantisch. Und das Erstaunliche ist auch, jede Seite denkt immer, die andere Seite muss irgendwie mir was Gutes tun oder auf mich zukommen.
Ich glaube, wenn dann gegenseitige Offenheit auch da wäre, würde das schon leichter sein. Und auch das Selbstverständnis in der Richtung geht, dass nicht alles, was ich mache, das einzig Logische ist. Auch wenn meine, mein Arbeitsumfeld eine gewisse Logik hat. Auch bei den anderen gibt es schon sicher logische Gründe, warum das so und so abläuft. Also wenn ich jetzt zum Beispiel so ein Theater von der kommunalen Verwaltung sehe, der clasht es ständig, weil eine Verwaltung da so eine gewisse Eigenlogik hat und ein Theater eine Eigenlogik. Und die Übersetzungsleistung an den Schnittstellen zu schaffen, das ist eigentlich die Kunst. Und Verwaltung ist auch nicht einfach nur ein stoisches auf Prozesse gucken, sondern auch da verändern sich viele Dinge. Auch die haben bestimmte Dinge, die sie einhalten müssen. Aber man muss sie halt austauschen.
Man muss eben auch die, da sind wir immer bei dem, was man hier, die Bedeutung, die dahinter stecken, die, die sind eigentlich wichtig und nicht einfach nur der Fakt, das Faktische, sondern was es alles auch benötigt, dahinter steckt, bedeutet, dass es, das ist wichtig. Und dann greift das auch viel besser ineinander.
[Kristin Oswald:]
Mit diesem wunderbaren Schlusswort von Dirk verabschieden wir uns von euch. Liebe Hörende, erstmal danken wir natürlich Birgit, dass sie sich die Zeit für uns genommen und ihre Expertise und Erfahrungen mit uns und euch geäußert hat. Wir wünschen euch wunderbare Feiertage, einen guten und hoffentlich gut frohsinnigen Start ins Jahr 2025 und freuen uns natürlich, wenn ihr uns auch im nächsten Jahr gehoben bleibt und wieder einschaltet, wenn es heißt: „Dienstags im Koi“.