
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Im Podcast "Dienstags im Koi" bespricht die Redaktion von Kultur Management Network einmal im Monat aktuelle Kulturmanagement-Themen. Julia Jakob, die Chefredakteurin des Magazins, und Kristin Oswald, die Leiterin der Online-Redaktion, teilen darin ihre Gedanken zu Entwicklungen im Kulturbetrieb.
Seit der Pandemie arbeitet das Team von Kultur Management Network vor allem im Homeoffice. Nur der Dienstag ist der feste Bürotag und das bedeutet auch: Wir gehen zum Mittagessen ins Koi7, unser Weimarer Lieblingsrestaurant. Der Name Koi7 geht auf das altgriechische Wort Koine zurück, das gemeinsame Sprache bedeutet. Dazu passend besprechen wir im Koi7, was gerade in der Welt und im Kulturbetrieb passiert. Was läge also näher, als einen Podcast danach zu benennen?
Wie unsere Mittagspausen im Koi7 ist auch der Podcast ein Plausch, hier zwischen Jule und Kristin, hin und wieder begleitet von unserem Chef Dirk Schütz oder anderen Teammitgliedern. In den bisherigen, vor allem textgebundenen Formaten der Redaktion gab es keinen Platz für diese Gespräche. In "Dienstags in Koi" teilen Jule und Kristin ihre jahrelangen Erfahrungen und ihr Wissen über den Kulturbereich, ordnen aktuelle Themen ein und geben Einblicke in ihren Redaktionsalltag. Zudem veröffentlichen wir im Podcast Interviews, die die Redaktionsdamen mit Kulturschaffenden führen. Damit ist "Dienstags im Koi" einer der wenigen redaktionellen, spartenübergreifenden Kulturmanagement-Podcasts.
Unser Podcast “Dienstags im Koi” und die redaktionellen Inhalte auf unserer Website sind für unsere Hörer*innen und User*innen kostenlos. Dennoch braucht all das viel Liebe und Zeit. Deshalb freuen wir uns über jede finanzielle Unterstützung. Dafür habt ihr zwei Möglichkeiten:
Ihr könnt uns direkt über Paypal einmal einen Betrag eurer Wahl schicken: https://paypal.me/kulturmanagementnet
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Ein Podcast der KM Kulturmanagement Network GmbH.
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Folge 7: Mythen der Kulturverwaltung – mit Christian Horn (Kulturdirektor der Stadt Erfurt)
In dieser Folge "Dienstags im Koi. Ein Podcast von kulturmanagement.net" dürfen Kristin Oswald und Julia Jakob unseren ersten Gast Christian Horn begrüßen. Als Kulturdirektor der Stadt Erfurt liefert er interessante Einblicke in die öffentliche Kulturarbeit und was alles im Hintergrund passiert und: widerlegt einige Mythen der Kulturverwaltung, die unsere Redakteurinnen bislang in ihren Köpfen hatten.
Kultur Management Network Magazin Nr. 177 "Resilienz": https://cdn.kulturmanagement.net/dlf/dc1a8a16b01f19e637cc51349d0f69a7,1.pdf
Transkription der Folge: https://www.buzzsprout.com/2204591/episodes/14982386
Sprecherin: Anne Dietzmann
Produktion: Olivier Marchal
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Folge 7
Intro
Ihr hört Dienstags im Koi, der Podcast von Kulturmanagement.net mit Christin Oswald und Julia Jakob im monatlichen Gespräch über die Kulturwelt.
Julia Jakob
Hallo liebe Hörende, zu dieser Mai-Ausgabe von Dienstags im Koi, einem Podcast von Kulturmanagement.net, Kristin und ich haben uns heute in eine ganz besondere Aufnahmesituation begeben, denn wir haben heute das erste Mal einen Gast und wir sind an den Arbeitsort dieses Gastes gefahren. Also, vielleicht angeregt durch unsere April-Folge von Dienstags im Koi, in der wir auch viel über das Thema Verlassen der Komfortzone und Veränderung zulassen gesprochen haben, sind wir da voll reingegangen und setzen das heute mit dieser neuen Folge direkt um. Anknüpfend an die April-Folge wollen wir auch heute einige Gedanken nochmal aufnehmen zum Thema Resilienz und resilienter Kulturbetrieb. Wenn ihr die Folge noch nicht gehört habt, hört doch gerne rein, den Link dazu findet ihr in den Shownotes und damit verbunden sei euch auch nochmal die April-Ausgabe unseres Kulturmanagement.net-Magazins empfohlen, in der wir ebenfalls das Thema Resilienz aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Heute wollen wir dabei den Fokus insbesondere auf das Thema Resilienz und Kulturverwaltung setzen und dabei bestenfalls auch mit einigen Mythen bezüglich der Arbeit von und in Kulturverwaltungen aufräumen, die aus unserer Sicht, die wir nicht in Kulturverwaltungen arbeiten, bestehen. Wir sitzen hier heute, sollte es rascheln, auch mit Bestechungsrochett, das vielleicht auch so als kleine Einstiegsanalyse. Und ja, jetzt nenne ich dich mal beim Namen. Wir sitzen nämlich hier mit Christian Horn, das ist der Kulturdirektor der Stadt Erfurt. Wir freuen uns sehr, dass du da bist, Christian.
Christian Horn
Ja, wir freuen uns, dass ihr hier bei uns seid.
Julia Jakob
Magst du kurz zum Einstieg dich vorstellen, was du so tust als Kulturdirektor?
Christian Horn
Sehr gerne. Also ich sage einmal ganz kurz, die Kulturdirektion Erfurt ist im Grunde ein Kulturamt, ein wenig glorioser aufgeladen durch diesen Direktionstitel und meinen Titel als Kulturdirektor. Das Schöne und Interessante hier an dem Kulturamt oder der Kulturdirektion in Erfurt ist, dass wir nicht nur das hier vereinen, was man vielleicht traditionellerweise erwartet, also die Museen, die Kulturförderung, sondern auch das Stadtarchiv, die Märkte und Stadtfeste, also Weihnachtsmarkt, Krämerbrückenfest bei uns mit im Haus haben und insofern ein ganz breites Spektrum einfach haben der Kulturarbeit, was meiner Art und Weise zu arbeiten auch sehr entgegenkommt. Und deshalb habe ich mich hier vor anderthalb Jahren beworben und rudre deshalb kräftig mit.
Kristin Oswald
Ja, wir freuen uns sehr, dass Christian heute da ist. Wir kennen Christian redaktionell schon etwas länger, unter anderem aus seiner vorherigen Tätigkeit in Altenburg. Vielleicht können wir da auch noch mal kurz nachher berichten, was du dort gemacht hast. Und wir sind natürlich sehr gespannt, worüber wir heute reden, weil Kulturverwaltung und Kulturämter ja auch mit einigen Vorurteilen behaftet sind, gerade von Seiten Kulturschaffender. Und natürlich wollen wir gerne einmal von dir hören, wie deine Perspektive darauf ist, wie deine Erfahrungen sind in einer Landeshauptstadt, die aber, als Erfurterin darf ich das sagen, eigentlich nur die Kulturstadt Nummer zwei ist in unserem Bundesland Thüringen hinter Weimar. Und genau von daher ist natürlich auch spannend, wie ihr vielleicht mit diesem Verhältnis umgeht und welche Rolle du der Erfurter Kultur denn auch so für das Leben in unserer Stadt zuschreibst.
Christian Horn
Also ich wusste gar nicht, dass Weimar noch in Thüringen liegt. Ich dachte, Erfurt ist Thüringen. Lessons learned. Man lernt nie aus. Wir hier in der Kulturdirektion in Erfurt und was mir sehr wichtig ist, arbeiten sehr dialogorientiert und versuchen einfach unsere Arbeitsumgebung, deshalb freut mich dieses Thema auch sehr, so zu gestalten, dass wir mit unterschiedlichen Teilhabern in der Kultur, im Tourismus, auch in der Wissenschaft zusammenkommen. Und was ihr anspricht, dass wir auch oder ich für das Magazin immer wieder geschrieben habe, hat eben auch was damit zu tun, dass ich sehr gerne über die Art und Weise, wie wir arbeiten, nachdenke. Und da bietet euer Magazin ein tolles Forum. Und ja, da sind viele Fragen mit verbunden, die wir jetzt nicht im Tagesgeschäft sofort klären können, sondern man sich wirklich auch strategisch Gedanken machen muss, wie man eine Arbeitsumgebung aufstellt. Das gilt aber gar nicht ausschließlich für den Kulturbereich, über den reden wir heute. Und alle Mythen, die ihr jetzt aufrufen werdet, die werde ich natürlich schon mal per se bestätigen. Also meine Absolution habt ihr, aber wir können sie ja trotzdem noch mal pro forma in Frage stellen.
Kristin Oswald
Auf jeden Fall. Genau, wir haben gesagt, wir starten noch mal mit dem Thema Resilienz, denn wir haben in unserer letzten Ausgabe und auch in der Magazinausgabe sehr viel über die Frage gesprochen, wie denn die Kulturinstitutionen selbst resilienter werden können auf der Prozessebene, aber auch quasi die Gesellschaft dabei unterstützen können. Welche Rolle, welche Aufgabe, vielleicht auch welche Verantwortung siehst du denn da auf Seiten der Kulturverwaltung?
Christian Horn
Also zum Thema Resilienz sehr grundsätzlich, das habt ihr ja auch in eurer Magazinausgabe schon rausgearbeitet, dass es nicht darum geht, dass wir eine Krise bekämpfen, sie mit Macht löschen, sondern dass es um die Frage geht, wie wir mit der Krise umgehen. Oder ich würde es sogar so formulieren, wie wir uns in der Krise bewegen. Und ich unterstelle jetzt positiverweise, das ist ein positiver Mythos der Kulturarbeit, Kultur und ja auch der Kunst, dass wir im Grunde im Krisenmodus zu Hause sind.
Zumindest, ich meine das immer wieder zu beobachten, wenn ich mit dem Begriff Krise irgendwo in der Kneipe sitze oder unter Freunden unterwegs bin, dann ist ja ganz oft gleich so diese Konnotation, dass es etwas Negatives ist, das ist, oh ich traue es mich kaum zu sagen. Und für uns als Kultur- und Kunstakteure ist das ja der Mehrwert. Also das ist ja das Schöne, festzustellen, dass die Dinge in Bewegung sind, dass es Unterschiede gibt und dass wir diese Momente sichtbar machen möchten.
Deshalb, glaube ich, haben wir schon eine besondere Kompetenz im Kulturbereich, mit Krisen zu arbeiten. Wir fühlen uns da wohl, wir kennen bestimmte Techniken, wie wir damit umgehen. Und das ist jetzt erstmal der erste Punkt, den ich dazu sagen möchte, der relativ abstrakt ist, der auch relativ blumig klingt.
Es gibt einen zweiten Aspekt, der auf das Projektmanagement abzielt, auch in anderen Bereichen arbeitet man viel in Projekten, aber ein gutes Projektmanagement, und da versuchen wir in Erfurt auch immer noch besser zu werden, muss schon knallhart betrieben werden und hat bestimmte Steps, die man auch einhalten soll und wo bestimmte Steps dabei sind, die auch immer wieder übersehen werden, zum Beispiel die Dokumentation aus meiner Sicht. Das ist also der eine Punkt und der zweite sehr handfeste Punkt ist, wie bauen wir Institutionen auf und bauen die aus? Das hat viel mit Personalführung zu tun, mit Fragen von Mandaten und derartigen Dingen, natürlich auch mit Ressourcen. Aber das ist so der Dreiklang, der mir durch den Kopf geht. A, wirklich dieses Mindset, was ist Krise, wie gehe ich damit um? B, so ein bisschen im Zeithorizont von ein, zwei Jahren das Projektmanagement und dann im wirklich großen Horizont von 10, 15, 20, 30, 40 Jahren, wie bauen wir Institutionen auf, wie betreiben wir Governance?
Kristin Oswald
Nun könnte man ja sagen, dass gerade öffentliche Kulturinstitutionen und wahrscheinlich auch die öffentliche Kulturverwaltung, Resilienz meint ja auch den Umgang mit Veränderungen. Was diesen Umgang angeht, so ein bisschen langatmiger sind, ein bisschen langsamer sind, sich vielleicht schwerer damit tun, mit Veränderungen umzugehen und sich entsprechend daran anzupassen. Hast du das Gefühl, dass das zutrifft?
Christian Horn
Da brauche ich es nochmal konkreter.
Kristin Oswald
Naja, also ganz oft ist es ja so, dass öffentliche Kulturverwaltungen und Kultureinrichtungen eine bestimmte Organisationsstruktur haben und Anpassung an Veränderungen heißt ja im Zweifelsfall, gerade wenn wir über langfristige Veränderungen reden, dass wir Strukturen verändern müssen. Und da hören wir zumindest häufig von Kulturschaffenden, dass sie daran auch ein bisschen verzweifeln oder da das Gefühl haben, dass sie nicht weiterkommen, wenn es eben um die Anpassung der Strukturen an neue Gegebenheiten geht.
Christian Horn
Also für mich ist der Struktur immer noch ein ganz wichtiger Punkt vorgelagert. Das sind Menschen. Wir als Menschen machen die Strukturen. Und ich habe immer die Möglichkeit, innerhalb einer Struktur die Dinge zu ein oder anderen Richtungen zu lenken. Ich mache es mal an einem Beispiel fest. Ich hatte verschiedene Arbeitgeber. Ich glaube sechs Stück. Jetzt bin ich Anfang 50. Sechs Arbeitgeber. Und habe dadurch auch bestimmte Vergleichsmomente. Und ein Arbeitgeber war die Deutsche Nationalbibliothek und am Standort Leipzig hatten wir einen Verwaltungsleiter, der genau das Gegenteil glaube, ich von dem Klischee war, was man sonst als Verwaltungsleiter, also das heißt ein innerer Dienst manchmal vermutet, der unheimlich pragmatische Lösungen geschafft hat. Und das konkrete Beispiel ist, wie gehen wir zum Beispiel mit Veranstaltungen in Umgebungen um, die baulich noch nicht abgenommen sind. Also wo Fragen, Fluchtwege, Brandschutz und so eine Rolle spielen. Und sehr häufig ist es so, dass wir das Klischee bedienen, dass die Stadt sagt, das ist alles noch nicht veranstaltungsmäßig zugelassen, da können sie gar nicht rein. Es gibt aber immer mittlere Wege. Also der gesamte Flughafen Franz Josef Strauß in München wurde über lange Zeit mit menschlichen Brandwachen zum Beispiel betrieben, ohne dass das final abgenommen war. Und der ist auch mit genau solchen Antworten gekommen. Also ich wollte da unter das Dach, eine alte Spannbetonkonstruktion mit einer Veranstaltung. War alles fragil. Aber man meinte, kannst du machen, brauchst nur menschliche Brandwachen, die uns da rausleiten. Also insofern würde ich nicht per se die Struktur diskutieren, sondern ich würde die Menschen und die Mindsets diskutieren, mit denen wir Strukturen ändern können. Und das vielleicht so als letzten Punkt, den ich noch kurz als Input reingeben möchte. Ich habe mich hier in Erfurt beworben, weil ich gesehen habe, dass auch extrem gute Akteure hier in der Kulturdirektion sind. Und ich will es jetzt nicht alles ausschließlich an einer Person fest machen, aber ich denke, der aktuelle Dezernent und also Tobias Knoblich, der vorher auch lange jähriger Kulturdirektor war, hat einfach auch gute Leute hierhergeholt. Und das ist ganz wichtig. Und von da aus kann ich dann neue Organisations- und Institutionsmodelle entwickeln, was wir hier auch tun. Aber ich muss ganz ausdrücklich sagen, ich zehre schon von den Menschen, die inzwischen hier sind, um jetzt solche Strukturen weiter aufzubauen. Also wie war das? Form, Inhalt, Content Follows Form?
Julia Jakob
Form follows Function. Das ist auch tatsächlich etwas, worüber wir uns letzte Woche natürlich nur mit unserem Blick von außen unterhalten haben, wie schwierig es wahrscheinlich auch für Menschen ist, die neu als Führungskraft an ein Haus kommen, wo bestimmte Strukturen schon vorgegeben sind und man dann doch einen großen Veränderungswillen vielleicht auch hat und versucht, zum einen alteingesessene Mitarbeitende, die auf entsprechende Strukturen gewohnt sind, mit frischerem Wind, seien es jetzt neue Mitarbeitende, die eingestellt wurden oder eben natürlich auch das eigene Mindset so zusammen zu bringen. Wenn du jetzt sagst, du bist hier zum Glück in eine Umgebung gekommen, wo genau das schon da war und du auch gut anknüpfen konntest, bedeutet das dann, dass es weniger Gegenwind auch gab, als du angefangen hast, hier zu arbeiten? Oder wie geht ihr damit um, da auf einen Nenner auch zu kommen?
Christian Horn
Also es gibt immer Gegenwind, mitunter ist der Gegenwind ja aber gar nicht schädlich, sondern es sind unterschiedliche Ansätze, wie Dinge betrachtet und gearbeitet werden. Könnte ich auch noch am praktischen Beispiel erläutern, aber lasse ich erstmal beiseite. Was glaube ich aber schon gilt, ist diese Faustformel, die wir aus dem Change-Management kennen. Ein Drittel der Mitarbeitenden möchte aktiv Veränderungen herbeiführen, ein Drittel betrachtet das indifferent und ein Drittel unterstützt das nicht. Auch möglicherweise so weitgehend, dass aktive Sabotage betrieben wird. Und das ist ganz wichtig, dass wenn wir Dinge weiterentwickeln möchten, eine bestimmte Menge an Menschen da ist, die diese Kreativität, diesen Wunsch auch Transformationen zu betreiben, auch diese Sicherheit, die sich wohlfühlen mit Veränderungen, die das leben. Wenn dieses Drittel nicht da ist, dann fallen wir trocken. Also das lernen wir in jedem Change-Management -Seminar und das kann ich inzwischen auch nur aus der Alltagspraxis wirklich unterstreichen. Also diese Gruppengröße muss da sein.
Kristin Oswald
Nun ist es ja bei dir ja nicht nur so, dass du quasi ein Kernteam um dich herum hast, das mit dir die Kultur in Erfurt verwaltet und wir können auch noch mal darüber sprechen, was das eigentlich bedeutet, sondern zu deiner Verantwortung gehören ja auch verschiedene Häuser, die alle noch mal auch eigene Teams haben. Wie bekommst du es denn hin, dass ihr alle vielleicht auf eine ähnliche Vision zuarbeitet, obwohl könnte ich mir vorstellen, vielleicht auch manchmal gegenteilige Interessen bestehen?
Christian Horn
Genau, also für mich ist wirklich die große Scharnierscheibe unser sogenannter Leitungskreis. Wenn man jetzt in der Verwaltungswissenschaft unterwegs ist, ist das die sogenannte Dienstberatung. Das heißt, wir sitzen alle vier Wochen einmal mit unseren gut zehn Leitungskräften in dem Raum, wo wir uns auch befinden, und ich nenne das immer Raumschiff Enterprise, weil es geht doch nicht um Lösungsdiskussionen, sondern es werden Informationen zur Verfügung gestellt und es werden Klärungsbedarfe definiert, aber die Lösungsdiskussionen sind dann immer ausgelagert. Und das ist bei zehn Abteilungen, also wir haben die drei großen Museumsstrecken, Natur, Geschichte und Kunst. Dann haben wir die zentralen Restaurierungswerke, wir haben das Stadtarchiv, wir haben Märkte und Stadtfeste, wir haben Veranstaltungsmanagement, wir haben Querschnittsabteilungen, Finanzcontrolling, zum Beispiel Kommunikation. Das ist in 90 bis 120 Minuten wirklich eine Tour de Force. Wesentlich ist aber, und das soll für mich jetzt erstmal der Schlüssel sein, wenn du fragst, wie kriegen wir das hin, dass sich möglichst viele Menschen möglichst gut informiert wissen. Ich sage jetzt mal bewusst wissen, nicht nur vorkommen, es ist nicht bloß gefühlt. Das sieht bei uns inzwischen so aus, ich denke, hier haben wir jetzt wirklich auch einen Hochleistungssport entwickelt, aber auch technologisch gestützt, dass wir diese 90 bis 120 Minuten Beratung, ich schätze mal mit 30, 40 Tagesordnungspunkten in einer Protokolllänge von acht bis zehn Seiten inzwischen haben. Alle Mitarbeitenden arbeiten vorher in einem Content-Management-System das Protokoll ein. Am Vorabend oder am frühen Morgen gehe ich schlussredaktionell durch in zwei, drei Stunden, das ist richtig Arbeit, das ist maloche, aber wir haben das Protokoll dann in der Beratung schon vor Augen mit dem BIMA, also wir kommen jetzt wirklich auch in visuelle Kommunikationstechniken rein, in digitale Kommunikationstechniken und sitzen in dieser Beratung und dann wird das Protokoll, inzwischen sind wir soweit, am nächsten Tag an alle Beschäftigten, also 110 Mitarbeitende der Kulturdirektion geschickt. Jetzt sind wir noch nicht dabei, wo wir Inhalte, wo wir Institutionen so entwickeln, aber auf deine Frage, um wirklich darauf im Kern zu antworten, es geht erstmal ausschließlich um Kommunikation und um das Teilen von Wissen und auch um die klare Botschaft dadurch, es gibt keine Geheimnisse, gar keine, totale Transparenz. Ausgenommen Personalfragen, muss man immer dazu sagen, ausgenommen Personalfragen, weil der Arbeitnehmer einen Anspruch hat, dass seine persönlichen Bedarfe vertraulich behandelt werden.
Kristin Oswald
Nun hätte ich es gerade schon gesagt, das Wort Kulturverwaltung könnte man ja auch ein bisschen negativ interpretieren, wenn man eben sagt, Kultur wird nur verwaltet und nicht oder vielleicht weniger geschaffen, ja, also dass es eben darum geht, überhaupt erstmal primär vielleicht über Ressourcen zu sprechen oder über Zahlen, über was für Zahlen auch immer, also das können ja Finanzzahlen, das können Besuchszahlen sein, aber Kulturverwaltung ist ja immer auch etwas, das Kultur schafft und ermöglicht. Wie geht das, wie würdest du sagen, gehen diese beide Punkte miteinander zusammen, also auch diese Logik des öffentlichen Dienstes, der man ja zwangsläufig immer ausgesetzt ist?
Christian Horn
Also auch hier steht ja Mensch im Mittelpunkt aller Dinge. Ich nenne jetzt mal ein Positivbeispiel und ein Negativbeispiel. Das Negativbeispiel zeigt auf das negative Klischee einer Verwaltung ein. Sicherheitsfragen. Wir haben hier verschiedene Großveranstaltungen in Erfurt und wir wissen, dass die Sicherheitssituation bei Großveranstaltungen in den letzten Jahren, international und auch in Deutschland, hoch problematisch war, dass wir viele Todesopfer hatten und dass wir uns auch gegen terroristische Gefahren absichern müssen. Die Frage ist jetzt immer, wie weit treibe ich das und dann auch irgendwann, über welches Setting rede ich noch.Wir wissen, dass vor allen Dingen ja durch LKWs, durch Fahrzeuge mit großen Lasten in Menschenmengen reingefahren wurde, viele Menschen zu Tode gekommen sind und unser Sicherheitskonzept bis heute richten wir ganz stark auf dieses Szenario aus. Das nimmt inzwischen Größenordnung an, das können kleinere Kommunen in der Fläche in Thüringen gar nicht mehr bestreiten. Den ist der gesamte Veranstaltungsetat inzwischen durch Sicherheitsmaßnahmen, also Poller und derartige Sachen, aufgefressen. Wir in Erfurt können es noch bestreiten, aber liegen mit der Karnevalsveranstaltung in diesem Jahr bei über 200.000 Euro, wo ein Großteil auf die Gefahrenabwehr ausgerichtet ist. Da sage ich jetzt, da kommt leider dieser negative Hang von Verwaltung zum Tragen, dass wir denken, wir können uns im Leben gegen alles und nichts absichern und wir ziehen dieses eine Krisenszenario derartig groß und zahlen so viel darauf ein, dass wir sogar andere potenzielle Szenarien, die möglicherweise heute über Drohnen oder so gehen, völlig aus dem Blick geraten lassen. Das wird in der Verwaltungsarbeit und auch politisch hoch prekär darüber öffentlich zu reden.
Ich mache das jetzt hier, ich versuche es, ich hoffe es geht nicht schief, weil natürlich ganz schnell die Aussage kommt, ihr müsst doch an die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger denken und weil die komplexe Aufarbeitung dieses Themas problematisch wird. Aber da spielen wir in der Verwaltung keine glückliche Rolle, weil sich jeder versucht weiter abzusichern und das eskaliert nach oben in Aufwänden, die aus meiner Sicht so gar nicht mehr angemessen sind. Aber ich nehme mal ein anderes Beispiel, wo Verwaltung glaube ich auch, hängt einfach davon ab, wie man es macht, sehr pragmatisch sein kann. Wir haben unsere Künstlerwerkstätten jetzt neu eröffnet, auch Arbeitssicherheit, derartige Sachen, werden immer komplexer die Themen. Aber arbeiten da jetzt mehr Verträgen, wo wir jetzt erst mal sagen, okay, wer da rein möchte in die Künstlerwerkstatt, gibt Kund, dass er sich an den Geräten auskennt, formuliert seine eigene Verantwortung und ja, wir versuchen da einfach mit Augenmaß vorzugehen. Also es ist immer die Frage der Steuerung, wie man das persönlich angeht.
Julia Jakob
Ich habe gerade beim Thema Sicherheit auch so gedacht. Etwas, wo wir glaube ich auch in der Vergangenheit in unserer redaktionellen Arbeit immer wieder auch mit Sicherheit in Kulturverwaltung oder in öffentlichen Kultureinrichtungen konfrontiert waren, war der Punkt, wenn es um Cyberangriffe geht. Das ist ja auch einfach ein Thema, was man berücksichtigen muss. Ich nehme an, das ist nicht so kostspielig in eurem Bereich, wie wenn es darum geht, die Sicherheit auch stattfesten und Co. dann auch festzulegen. Und was sich für mich als Außenstehende aber da auch als Frage stellt, ob das nicht ein Bereich ist, der aus einem anderen Finanzbereich bewerkstelligt werden sollte und nicht auf Kosten der Kultur dann geht. Weil ich das sehr spannend finde, wenn du sagst, kleine Kommunen können das mittlerweile gar nicht mehr leisten und dann findet Kultur einfach nicht mehr statt, was ja sehr schade ist.
Christian Horn
Ja, jetzt musst du nur mal bei der Cybertechnik nachfragen, wie transponierst du das jetzt da, die Risikoabschätzung?
Julia Jakob
Tatsächlich wäre das ein komplett anderer Bereich, der mir so in den Kopf gekommen ist, wenn wir immer über das Thema Sicherheit in Kulturverwaltung bisher gesprochen haben.
Christian Horn
Kann ich aber, würde ich auch gerne was zu sagen, weil zum einen ist unsere IT-Abteilung natürlich qua Auftrag verpflichtet, dass die Daten, es hat ja auch mit dem Datenschutz zum Beispiel zu tun, die öffentlich gehandhabt sind, sicher sind. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist so, dass wir hier in der Stadtverwaltung Erfurt von unseren Tischrechnern aus nicht in Konferenzsysteme gelangen können, um an Netzwerkberatungen teilzunehmen. Es gibt bestimmte Lösungen, da hole ich mir den Rechner aus der IT-Abteilung und docke mich irgendwie auf, aber dann, wir wissen es alle, ist immer noch die Frage, ist es gerade so konfiguriert, dass es passt, und was weiß ich. Das heißt, es läuft de facto so, dass wir über unsere eigenen privaten Geräte in die Videokonferenzen gehen. Insofern funktioniert eigentlich das Prinzip. Gleichzeitig, ich muss das als Arbeitnehmer ja nicht machen und wir haben auch Kolleginnen und Kollegen, die weigern sich. Und ich als Amtsleiter kann nur sagen, mit Fug und Recht, natürlich weigert ihr euch, ihr müsst ja nicht eure eigenen Geräte zur Verfügung stellen oder die anschleppen. Und da lässt sich irgendwann, glaube ich, wenn man das sehr hoch skaliert, über alle Kommunen in Deutschland die Frage stellen, naja okay, wir schützen uns einerseits durch die Cyberabwehr, aber was nehmen wir uns auf alles, weil wir einfach an Dialogen nicht teilnehmen können. Und freischaffende Künstler oder privatwirtschaftlich agierende Akteure, die machen das natürlich die ganze Zeit und die fahren an uns vorbei. Das heißt, ein riesen Wissenstransfer, ein Kompetenzaufbau zieht an uns buchstäblich vorbei, weil wir bestimmte Momente an diesen Dialogsituationen nicht teilhaben können. Und auch das ist ja ein Schaden, auch das kostet uns ja etwas. Und ja, es ist eine abstrakte Aufgabenstellung, das ins Verhältnis zu setzen, aber es muss auf alle Fälle mitdiskutiert werden. Es ist auch ein Preis, den wir bezahlen.
Kristin Oswald
Ja, aber das ist ja auch so ein Thema, wenn man so über die Finanztöpfe redet, wenn du sagst, auch das ist ein Schaden, aber das ist ja ein Schaden, den du selbst, wenn du ihn bezifferst, der ja nicht unbedingt mit einem erhöhten Budget zwangsläufig einhergeht und dann eben wieder aus einer gewissen Verwaltungslogik heraus so ein bisschen weg ignoriert werden kann. Man kennt das ja zum Beispiel auch, wenn, ich sage mal, Software wahnsinnig veraltet oder zu langsam funktioniert und es einfach Arbeitszeit kostet, dann ist das für uns als privatwirtschaftliches Unternehmen ja total relevant. Aber in der öffentlichen Verwaltung ist es ja oft so, naja, ich muss kein Geld investieren, also ist es auch kein finanzieller Schaden, der mir verloren geht.
Kristin Oswald
Und so dieses Budgetdenken ist ja, wenn es um Kultur geht, vielleicht manchmal auch hinderlich. Also wenn es zum Beispiel um die Frage geht, ich brauche vielleicht mehr für Personal, aber sagen wir, weniger für Sicherheit oder für Technik, sind das aber zwei Töpfe und du kannst ja gar nicht, wie wir das einfach machen würden, sagen, das, was wir da einsparen, das geben wir eben da aus. Wie gehst du denn mit solchen Herausforderungen um auf so einer pragmatischen Ebene?
Christian Horn
Also, wenn wir es jetzt erstmal sehr grundsätzlich sortieren, die Antwort auf deine Frage ist Gründung eines Eigenbetriebes. Ich sage dazu immer, wenn wir jetzt auf einer Kulturkonzeption arbeiten, für mich gibt es keine Tabuthemen. Punkt ist nur, wir haben da jetzt gar nicht drüber gesprochen, wir haben schon derartiges Großwild, nenne ich das immer, große Bauvorhaben, Entwicklungsvorhaben hier in der Pipeline, dass im Grunde uns als Letztes noch fehlt, jetzt über eine Rechtsform zu diskutieren eines Eigenbetriebes. Aber das wäre die Antwort darauf, das ist das eine. Das andere, also die Figur, die da bei dir drin steckt, ist ja, dass man sich im Grunde, also die Gedankenfigur, die logische Figur, dadurch, dass man das eine nicht macht, sich bei dem anderen blockiert und das ist das, was ich versuche immer aufzulösen, hat aber auch viel für mich mit einer Reflektion über Angstpsychologie zu tun, also nicht nur kameralistische Verbindungen, die du jetzt beschreibst, sondern allgemein auch Angstpsychologie, dass wir uns als Menschen, glaube ich, wir versuchen immer sehr sicherheitsaffin zu sein und merken gar nicht, dass wir unter zehn Varianten uns in der einen etwas riskanten, ohne Ende, an der Minimierung des Risikos abarbeiten, aber die anderen neun Varianten, die in diesem Portfolio von zehn drin sind, gar nicht betrieben werden. Und das ist leider in Verwaltung häufig der Fall. Wir können uns das in Anführungszeichen auch leider leisten, weil wir ja hier keine Profitcenter haben oder so, aber wenn es wirklich um Innovationen geht und darum, dass wir, oder auch Bürgerfreundlichkeit, sollten wir viel häufiger Dinge ausprobieren und auch niederschwellig machen und einfach gucken, wie sie funktionieren, anstelle uns wie das Kaninchen auf die Schlange, auf das eine Szenario zu konzentrieren, wo denn etwas schief gehen könnte. Persönlich erlebe ich es aber hier bei uns in Erfurt so, und ich bin ja noch nicht so lange hier, insofern hat das wenig mit mir zu tun, dass wir hier viele Akteure und Beschäftigte haben, die so ticken und wo wir so arbeiten und wo wir Dinge ausprobieren, bis hin jetzt auch zur Entwicklung von neuen Institutionsmodellen, partizipativen Institutionsmodellen, wie der Pop-Up-Ausstellungshalle, also wo es gar nicht mehr darum geht, dass wir in Hierarchien zum Beispiel einen Ausstellungsbetrieb von einem Direktor über Kuratoren organisieren, sondern in ganz offene Dialogsituationen gehen und auch durch die Öffentlichkeit kuratiert arbeiten und in Netzwerkprozesse, aber das war nur so als ein kleiner Ausblick, wo wir deine Fragestellung auch nicht nur aufgreifen, sondern uns auch sagen, da müssen wir bis hin zum Institutionsmodell und wie Dinge autorisiert werden, wie Kulturangebote autorisiert werden, einfach mal den Teppich hochnehmen und neu denken, neu handeln.
Kristin Oswald
Gerade in Erfurt wurde, glaube ich, der Kulturbereich sehr lange auch als eher konservativ oder traditionell wahrgenommen oder zumindest als weniger innovativ. Ich sage mal, die Stadt hat ja zum Beispiel schöne Museen, aber wenn wir das jetzt wieder mit Weimar vergleichen, dann gehen die so ein bisschen unter in der Aufmerksamkeit oder sehr lange gab es so überhaupt keine digitale Kommunikation aus dem Kulturbereich raus, weil es eben von Seiten verschiedener Gremien oder Akteure einfach auch nicht gewollt war. Ich habe schon das Gefühl, aber natürlich habe ich da eine selektive Aufmerksamkeit, dass sich das so langsam verändert. Wie sind denn die Rückmeldungen von der Bevölkerung bisher?
Christian Horn
Also im Museumsbereich denke ich, dass wir kuratorisch sehr, sehr qualifizierte Ausstellungen machen. Wir sind durch die zentralen Restaurierungswerkstätten, auch im Bereich Restaurierung zum Beispiel, sehr gut aufgestellt. Woran es bei uns aber tatsächlich mangelt, wo wir besser werden müssen, und wir sind ja immer eine Landeshauptstadt, ist, dass wir gucken, wie wir auf Landes- und auch auf Bundesebene und bestenfalls auch auf europäischer Ebene in Netzwerkprojekte gehen, wie wir auch Forschungsprojekte aufsetzen, wie wir Drittmittel dadurch stärker akquirieren. Und da haben wir wirklich, da haben wir weiteren Entwicklungsbedarf und haben wir jetzt auch eine große, sehr offene, partizipative Konferenz zu diesem Thema zusammen mit Wissenschaft, Wirtschaft, Tourismus veranstaltet, weil da natürlich, oder aus meiner Sicht, aus meiner Herangehensweise, das muss ich mal ein bisschen framen, ich denke immer, dass über das Thema, die Story, das Format kommt. Das heißt einfach zu sagen, wir machen jetzt hier mal eine Schau zum Maler XYZ, weil er 200 Jahre alt wird, das ist noch kein Format, keine Story. Wir müssen gute Themen entwickeln und dadurch die Antragstellung natürlich zu kräftig machen und weit nach vorne gucken.
Also da müssen wir in der Museumslandschaft stärker werden. Ich denke, wir sind aber infrastrukturell jetzt von den Gebäuden und von den Locations auch relativ gut aufgestellt. Im Depot lasse ich mal außen vor die Situation und wir wollen vor allen Dingen die Geschichtsmuseen, das Museum für Thüringer Volkskunde in ein kulturhistorisches Museum transformieren, wo es allerdings auch darum geht, bauliche Defizite zu beheben.
Also insofern, ich kam und musste da absolut zustimmen. Da müssen wir große Schritte nach vorne gehen, aber ich möchte gleichzeitig auch sagen, dass wir, ich glaube, was die Expertise anbetrifft und so, hier sehr gute Menschen bei uns an Bord haben. Aber ich sage mal, ein guter Kurator, ein guter Museologe ist jetzt nicht damit ausgebildet worden, einen Masterplan zu schreiben, ein Visionspapier für eine neue Museumsgründung zu entwickeln.
Also das ist jetzt auch mit einem Aufbau, einem Kompetenzaufbau verbunden.
Julia Jakob
Und wie bewerkstelligt ihr den oder wie könnt ihr den als Kulturdirektion unterstützen, diesen Kompetenzaufbau?
Christian Horn
Ja, wir können ihn, wir sind das ja selbst. Also wir müssen uns selber befähigen. Momentan gehen wir es sehr stark, ne, ich gehe mal einen Schritt zurück. Also wir haben zum Glück ein Gutachten der Firma Actori, also eine Münchner Beratungsgesellschaft, die auf dem Bereich Kultur spezialisiert ist, die eine sehr gründliche Analyse der Museumslandschaft in Erfurt vorgelegt hat. Und darauf aufbauend sind Stadtratsbeschlüsse, sogenannte Grundsatzbeschlüsse formuliert worden, wo wir in der Museumslandschaft Dinge verbessern müssen. Das heißt, etwas ganz Wesentliches, jetzt kommen wir auf das große Thema Governance, das nehmen wir natürlich eine eigene Sendung ein. Aber etwas ganz Wesentliches, dass der politische Auftrag da ist, dass wir tätig werden sollen, ist vollzogen. Ich will gleich dazu sagen, ein Grundsatzbeschluss klingt nach sehr vielen Menschen immer auch nach sehr viel Geld. Grundsatzbeschlüsse bedeuten gar kein Geld. Da ist noch keine Betriebskosten, keine Investitionskostenrechnung, kein Personalplan, kein gar nichts drin. Das ist nur das politische Go, das Commitment, dass die Verwaltung den Auftrag hat, nun Visionspapiere, Machbarkeitsstudien, Masterpläne, derartige Dinge zu entwickeln. Darauf kann ich immerhin aufsetzen, aber ab dort wird es mühsam, weil zumindest jetzt in meinen ersten anderthalb Jahren war der Haushalt noch nicht mit Geldern untersetzt, wo wir externe Kapazitäten hätten einkaufen können, um diese Masterpläne zu schreiben, um die Visionspapiere zu entwickeln. Es geht nicht nur um zeitliche Kapazitäten, sondern es geht auch wirklich um Know-how, wie man sowas aufsetzt. Da acker und schwitze ich teilweise, nicht teilweise, sondern großen Teilen selbst. Das heißt, wir haben die Arbeitsgruppe, wir formulieren die Visionen, wir gehen in Workshops mit der Öffentlichkeit, wir schreiben diese Masterpläne und ich protokolliere das Ganze. Wir kämpfen uns da jetzt ran. Es sieht wohl so aus, dass wir mit dem Doppelhaushalt 2024, 2025 zumindest auf Projektbasis da externe Unterstützung suchen können. Das ist gut. Das ist der erste Teil der Antwort auf eine Frage. Den zweiten mache ich recht kurz. Wir können uns hier nicht nur selbst befähigen, sondern wir schwärmen jetzt auch aus. Wir waren in Leipzig, wir werden nach Weimar, wir gucken uns die sogenannte Best Practice an, wie das andere machen und wie sehr engagierte Museumsdirektoren oder Projektmanager diese langen Planungsprozesse, die auch was mit der Planungsphase Null zu tun haben, also bevor wir überhaupt vor den Bauphasen der HUAI sind, die uns das beschreiben.
Wir nehmen jetzt hier das Wissen auf, aber ich muss fairerweise auch dazu sagen, wer Museologie studiert hat, wer als Kurator unterwegs ist, hat es eben nicht in seinem Studiengang gehabt, dass man eine Institutionsneugründung auf den Weg bringt. Ich habe mir das selber angeeignet, also ich bin einfach auch reingesprungen in Altenburg mit dem Aufbau der Spielewelt, die 2027 eröffnet werden soll. Und da sieht man schon, da haben wir 2016 begonnen, 2017, das sind mindestens 10 Jahre Leistungszeitraum.
Kristin Oswald
Glaubst du denn, dass das auch essenziell ist, diese Kompetenzen, auch wenn du jetzt beispielsweise neues Personal einstellst? Weil ich glaube, ganz oft hat man schon gerade in diesen öffentlichen Einrichtungen eine eher wissenschaftlich-kulturwissenschaftliche Perspektive auf das, was man tut, die man natürlich braucht. Man braucht Expertise zum Beispiel für museale Objekte, für Künste, für Performanzen, was auch immer. Aber dass eben dieses kulturmanageriale Denken auch aus der Verwaltung herauskommen muss, um es im Zweifelsfall in die Häuser geben zu können. Und eben nicht nur in den Häusern da sein muss, sondern auch in den Ebenen über den Häusern, die eben denen auch den Weg mit ebnen müssen.
Christian Horn
Ich kenne, jetzt koste Modo, es wird eine Ausnahme geben, aber ich kenne eigentlich keine, wenn wir jetzt mal nur im Bereich Museum bleiben. Wir können natürlich auch über Kulturförderung oder andere Dinge reden oder Depotneubauten. Aber ich kenne keine große Museumsneugründung, die dadurch stattgefunden hätte, dass ein externer Auftragnehmer in eine Kulturberatung engagiert worden wäre, dann den Masterplan geschrieben hätte und dann ist das Ganze von oben durchdekliniert worden. Es waren immer und sind immer Frontläufer. Es können Oberbürgermeister sein, es können Museumsdirektoren sein, die neben ihrem, ich sag mal, Fachwissen jetzt im engeren Sinne, was Sammlungsaufbau, was Ausstellungsgestaltung anbetrifft, sich dieses organisatorische Wissen und dieses Governance-Denken angeeignet haben, was dann ja auch, abgesehen jetzt von Investitions- und Betriebskostenrechnung und Bauplanung derartigen Sachen, was dann ja auch ganz, ganz viel mit Networking zu tun hat. Und ich kürze es hier erstmal ab, aber auch auf dieser Networking-Ebene, wie man das Ganze platziert und auch Finanzierungsszenarien aufbaut, ja, muss auch ein Wissen vorhanden sein.
Kristin Oswald
Und siehst du da auch eine Verantwortung von dir als Kulturdirektor, dass dein Personal auch dieses Wissen aufbaut, also beispielsweise auch Kurator*innen sich mit dem Thema Change Management oder Projektmanagement oder wir sprechen ja jetzt über so viele Dinge im Kulturbereich, das kann ja Audience Development und Ausrichtung auf Besucher sein, das kann vielleicht auch das ganze Thema Mitarbeiterführung sein. Siehst du da deine Verantwortung, deine Mitarbeitenden auch dahin zu bekommen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen?
Christian Horn
Ja, selbstverständlich. Das muss alles mitgedacht werden, wobei ich da schon nach diesem pauschalen Jahr auch dann wiederum sehr genau unterscheiden möchte. Also ich habe das ja jetzt schon zweimal oder dreimal gesagt, also wenn es um Institutionsentwicklung, um Business-Pläne geht, denke ich schon, dass wir auch auf eine, ja, wir müssen schon Fairness walten lassen. Also wer als Kunsthistoriker oder Museologe oder Restaurator ins Geschäft gekommen ist, ich meine, der hat ja auch eine Aufgabenbeschreibung, also die ist ja verbrieft in der Art und Weise, wie er oder sie angestellt ist, den kann ich nicht dazu zwingen, solche Aufgaben zu übernehmen. Gleichzeitig spreche ich überall diese Angebote aus und wenn jemand da seine Zukunft sieht, kann er oder sie sich auch entsprechend weiterentwickeln. Also da ist jetzt kein Automatismus, dass sich irgendetwas erzwingen kann oder erzwingen möchte. Wenn wir jetzt auf der Direktorenebene sind, ist das heute einfach der Status Quo. Also die Zeit, im Grunde war es das 19. Jahrhundert, wo es einem bürgerlichen Mäzen gab, vorher waren es die fürstlichen Museen, aber da müssen wir noch weiter zurückgehen. Also die Zeit, wo es bürgerlichen Mäzenen gab, die sich dann einen Direktor ins Haus geholt haben und sich mit seinem Fachwissen noch geschmückt haben, um irgendwie ihre eigene Erinnerungskultur durch einen repräsentativen Museumsbau, eine Sammlung zu zelebrieren, die ist ja vorbei. Also so geht es nicht mehr, heutzutage ist ein Direktor immer auch ein Manager und ich als Kulturamtsleiter arbeite da sehr stark daran, dass wir dieses Selbstverständnis weiter ausbauen.
Kristin Oswald
Ich fand vorhin auch die Ausführung sehr spannend, dass du meintest, ihr fahrt dann auch in andere Städte, guckt wie dort bestimmte Dinge laufen und natürlich aber auch das Networking, so mit Blick auf Kooperation. Wir haben uns ja letzte Woche auch mit Blick auf das Magazin darüber unterhalten, dass Kooperation für den Resilienz Aufbau im Kulturbetrieb und aber sicherlich auch für die Kulturverwaltung mag das gelten. Essentiell sind nicht nur, um gemeinsam eben Projekte anzugehen, sondern natürlich auch um Wissen zu bündeln und voneinander zu profitieren und darauf war ja auch die Konferenz ausgelegt.
Wie siehst du das aktuell, so mit Blick auf Erfurt, welche Rolle spielen da Kooperationen und wo sagst du, dahin sollte das noch viel mehr gehen, weil da steckt unglaublich viel Potenzial drin, was bisher noch nicht ausgeschöpft wird.
Christian Horn
Also soweit wir in der Kulturdirektion betroffen sind, müssen wir deutlich stärker kooperieren und Kooperation heißt ja, es klang ja bei dir auch an, immer schon auch eine Form von Teilen von Wissen. Also da bin ich ja noch gar nicht unbedingt dabei, das Produkt zu entwickeln, sondern erstmal Wissen zu teilen und was für mich schon immer so eine ganz, ganz wichtige Lesson learned ist, ihr habt ja von Mythen angesprochen. Ich rufe jetzt mal einen Mythos auf, der sicherlich nicht nur in Erfurt, an ganz vielen Orten kursiert.
Wenn wir zum Beispiel ein Museum neu entwickeln oder bauen möchten oder auch ein Depot, nach dem Motto, wie soll die Kommune das denn schaffen, sie hat doch gar nicht das Geld. Also wir kriegen doch schon unsere Schulen und unsere Straßen nicht gemacht. Wie soll jetzt auch noch ein Museum gebaut werden oder ein Depot gebaut werden und das ist schlichtweg nicht die bundesrepublikanische Wirklichkeit. Ich könnte jetzt aus dem Stand 20 Minuten reden, wie an verschiedenen Orten Finanzierungskulissen für Depots, Museen geschaffen wurden, die nur zu einem kleinen Teil dann einen kommunalen Beitrag haben, die zu großen Teilen über Landes-, über Bundesmittel kommen und natürlich auch über Trittmittel, über private Mittel. Wenn du jetzt hier aber Netzwerkdialoge ansprichst, dann wäre das für mich zum Beispiel, oder ist das etwas, wo ich jetzt schon versuche, ganz stark hineinzuarbeiten, um diesem Mythos zu begegnen, wenn wir jetzt die Masterpläne vorlegen, dass das alles die Stadt Erfurt bezahlen müsste, sondern deutlich zu machen, da hat man dann eben Kofinanzierung. Und das ist natürlich auch, also jetzt abgesehen davon, dass wir es im politischen Raum verankern, auch ganz wichtig für die Mitarbeitenden, weil wenn ich täglich zu meinem Arbeitsplatz gehe und sage, ja, wie wollen die jetzt das Depot für so und so viele Millionen, das kulturhistorische Museum für so viele Museen und Millionen das Naturkundemuseum, also all das ist ja bei uns real, das sind alles Grundsatzbeschlüsse. Wie wollen die das denn alles gleichzeitig bauen? Die Stadt hat doch sowieso nicht genügend Geld. Da fasst mir natürlich niemand mehr einen Stift an, um in einem Workshop zusammenzusitzen, um ein Visionspapier oder einen Masterplan zu erarbeiten. Also dieser Mythos muss wirklich aus den Köpfen raus, aber er hat sich irgendwie durch so eine Gravitation, dass man denkt, ja, das ist nur eine Stadtsäcke, irgendwie aufgebaut.
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Kristin Oswald
Man hat ja auch manchmal das Gefühl, dass das auch gerne als Argument vorgeschoben wird, um Dinge gar nicht machen zu müssen oder um gar nicht überlegen zu müssen, wie können wir denn Dinge machen, sondern um einfach prinzipiell zu sagen, es geht halt nicht. Wir hatten in dem Kontext auch darüber gesprochen, dass in einem Krisenzeitalter oder in einem Krisenmodus so was viel Veränderung ja auch zu Überforderung führen kann. Und dann ist es ja auch verständlich, wenn man gewissermaßen auch Argumente vorschiebt, um vielleicht nicht noch was verändern zu müssen oder nicht noch irgendwo ansetzen zu müssen.Aber ist das etwas, das du auch erlebst, dass vielleicht gar nicht nur von Seiten deiner Mitarbeitenden, sondern zum Beispiel, ich denke auch an den Stadtrat oder an die Ausschüsse, dass so dieses Geldargument gerne auch ein Wir-wollen-eigentlich-Sachen-auch-nicht-verändern-Argument ist?
Christian Horn
Das ist ein ganz wichtiger Hinweis. Ja, das kann tatsächlich beides sein. Es kann Unwissen sein, aber es kann auch eine gewisse Form von Hinterhältigkeit sein. Jemanden auf diese Leimspur, das ist ja auch eine populistisch unheimlich attraktive Leimspur. Zu leiten, dass etwas angeblich nicht möglich ist. Ich habe das tatsächlich auch so vor fünf, sechs Jahren, ich meine es vor fünf, sechs Jahren, das erste Mal auch beobachtet und vor allem selbst so für mich gegriffen oder gelernt bekommen zu haben, dass dieses Loser-Narrativ, so spann ich es mal weiter, natürlich auch eine Form von Verteidigung ist. Also dort, wo nichts möglich ist, muss ich mich selbst auch nicht verändern. Ich erinnere mich, darüber habe ich auch geschrieben in meiner Untersuchung Transferprotokoll natürlich. Ich habe nicht offengelegt, wo das war, werde es jetzt auch nicht tun. Aber ich war auf einer Konferenz vor vier, fünf Jahren, wo Mitarbeiter aus einem Ministerium sehr gut, sehr gut eine Tourismusstrategie dargelegt haben, auch wenn ein Bundesland betrachtet. Und wo erstmal der Spezialist sagen muss, die war einfach handwerklich top erarbeitet, diese Tourismusstrategie. Und der Raum war mit 20 Leuten voll, die mindestens alle eine E13 hatten, wenn nicht eine E14, die Verantwortung hatten, denen ich unterstelle, dass sie auch die Gestaltungsspielräume haben, so etwas umzusetzen und die derartig in ein Abwehrreflex gegangen sind, dass es aus meiner Sicht nichts mehr mit Vernunft zu tun hat. Und da muss man tatsächlich die Frage stellen, wie satt sind wir in Verwaltung, gerade in diesen Gehaltsgruppen, ist dort Veränderung überhaupt gewollt und wie kann man dem auch vorbeugen, dass derartiges ausgesessen wird, indem eben solche Verhinderungsrhetoriken platziert werden.
Kristin Oswald
Da bist du ja auch so eine Zwischenebene quasi als Kulturdirektor, im Zweifelsfall zwischen denen, die vielleicht von oben bremsen und denen, die von unten schubsen, könnte ich mir vorstellen.
Christian Horn
Dieses Sandwich-Modell, da habe ich immer eine Schwierigkeit, weil im Grunde ist alles ein Kreisschluss und ein Sandwich-Modell. Und ich erlebe das gar nicht so, dass oben irgendwie mehr gezogen und unten geschubst oder umgekehrt wird. Ich weiß auch gar nicht mehr genau, wie du es gesagt hast. Aber am Ende ist alles mit allen verknüpft. Sorry, dass ich da so... Nein, das ist ja absolut richtig. Auch da stehen im Mittelpunkt überall die Menschen.
Julia Jakob
Die Programmkonferenz, also vielleicht kurz als Transparenzhinweis, ich durfte die moderieren. Dadurch habe ich auch so ein bisschen Insiderwissen noch. Die war ja auch darauf angelegt, dass man genau dieses, man ist so bequem in seiner Komfortzone und man denkt nur in den eigenen Projekten, dass man das hier in Erfurt ein bisschen aufbricht. Und ihr versucht, die Leute auch mehr miteinander zu bekommen. Inwieweit hast du denn jetzt, so zwei Monate nach der Konferenz, das Gefühl, dass da schon ein bisschen Umdenken auch stattgefunden hat? Habt ihr da Einblicke?
Christian Horn
Also erst mal, ich sprach es vorhin schon an, dass die Dokumentation manchmal vernachlässigt wird. Und wir haben uns große Mühe gegeben, die Ergebnisse dieser Konferenz zu dokumentieren. Und nicht nur, also im Vorfeld schon die Konferenz methodisch so anzulegen, dass wir eine gute Dokumentationsmöglichkeit haben.
Dazu gab es sogenannte Projektsteckbriefe. Dann gab es Breakout-Sessions, wo wir schon unterschiedliche Papierbögen hatten, wo zu bestimmten Themen, bestimmten Projektmanagementaspekten gleich Dinge notiert werden konnten. Das haben wir dann alle verschickt.
Du hattest eben diesen Begriff Insiderwissen. Da will ich tatsächlich mal revidieren. Wir schicken diese E-Mail jedem und es gibt ja kein Insiderwissen.
Und wir haben im Vorfeld ja auch allen Teilnehmern rein datenschutzrechtlich das Versprechen abgenommen, dass wir es dann alle schicken dürften. Aber klar, es war ein Expertendialog, so meintest du das ja.
Julia Jakob
Ja genau, also Insiderwissen im Sinne von ich weiß wovon du sprichst, wenn du von der Konferenz sprichst.
Christian Horn
Genau, genau.
Julia Jakob
Das meinte ich damit.
Christian Horn
Ja, also es haben sich Themen herauskristallisiert. Zum Beispiel nehmen wir mal das Volkskundemuseum und die Messe Erfurt. Wir wissen ja, dass Heimwerken ein großes Thema ist. Dass man teilweise in Werkstätten mit Freunden zusammenkommt, um da gemeinsam zu arbeiten. Das ist ein Thema. Handwerk, was unser Museum für Thüringer Volkskunde auch beschäftigt. Das ist ein Beispiel dafür, wie aus unterschiedlichen Bereichen einfach ein Dialog erstmal in Gang gesetzt wurde, ob wir da in Zukunft gemeinsam etwas machen können. Da könnte ich jetzt aus Sicht der Kulturdirektion fünf, sechs Beispiele nennen. Nehmen wir mal zum Beispiel 1968. Wie werden Räume besetzt? Das kann man soziologisch betrachten. Das kann man aber auch ästhetisch betrachten, derartige Sachen.
Und ob wir dort zum Beispiel in Zukunft eine gemeinsame Ausstellung auch mit dem Museum Andreasstraße für die Zukunft entwickeln. Das ist gleichzeitig, jetzt abgesehen davon, dass ich diese punktuellen Dinge nennen kann, etwas, wo ich denke, es ist ein Gewächshausprinzip. Und wir haben jetzt einmal diesen Aufschlag gemacht, dass wir diesen großen Dialograum herstellen. Und gucken jetzt, wie wir in den kommenden Jahren diesen Dialog auch weiterführen können. Wir haben auch darum gebeten, nochmal ein Feedback zu erhalten, ob man sich das Format in Zukunft nochmal vorstellen kann oder in abgewendeter Form. Ja, aber auch hier gehen wir über drei, vier, fünf Jahre, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Auch ganz praktisch zum Beispiel jetzt mit dem nächsten Doppelhaushalt. Müssen wir mal gucken, 26, 27, wie man da Dinge anmeldet. Klingt jetzt vielleicht für euch oder Zuhörer so ein bisschen abstrakt, aber ich nenne es immer, ich will ja auch vor die Welle kommen. Also wenn wir im nächsten Jahr von der Kämmerei die Aufforderung bekommen, unsere Haushaltsbedarfe für Ausstellungen anzumelden, haben wir jetzt zum Beispiel schon ein Dialogformat, wo wir vorgedacht haben, welche Themen könnten es denn über die nächsten Jahre sein. Und ich denke, wir haben eine viel bessere Manövermöglichkeit und auch Argumentationsmöglichkeit, warum wir Geld haben möchten für den nächsten Doppelhaushalt. Allein schon durch die Identifikation solcher Themen jetzt.
Kristin Oswald
Nun hast du vorhin ganz kurz gesagt, zu eurem Aufgabenbereich gehört auch Kulturförderung. Und ich glaube, um wieder einen Mythos aufzugreifen vielleicht, dass so ein bisschen die institutionelle Förderung ja meistens an die alteingesessenen Institutionen geht und alle drumherum, die freie Szene, die Soziokultur, freie Künstler*innen, immer so ein bisschen, naja, nur den Rest abbekommen, sage ich jetzt mal, ein bisschen despektierlich, so ist es nicht gemeint. Obwohl man diesen oft mehr Innovationskraft auch zuschreibt.
Kannst du beschreiben, wie das bei euch hier einmal, wie das funktioniert? Also welche Art von Kulturförderung in deiner Verantwortung mit liegt? Und wie ihr mit dieser Innovationskraft umgeht?
Also man muss ja die existierenden Institutionen fördern und das Geld wird ja von alleine nicht mehr. Von daher ist da ja immer die Frage, gibt es denn eine Lösung aus diesem Dilemma? Ist es denn überhaupt ein Dilemma, das du siehst?
Christian Horn
Jetzt muss ich nochmal nachfragen, du hast es jetzt der institutionellen Förderung weniger Innovationskraft und der freien Szene mehr Innovationskraft zugeschrieben?
Kristin Oswald
Es ist ein Mythos, den ich hier gerne vielleicht einmal in den Raum werfe.
Christian Horn
Okay, okay, okay, okay. Boah, das ist jetzt so ein bisschen, nee, nee, es gibt einen anderen Punkt, den ich einmal... Wir haben eine institutionelle Förderung, aber ich glaube, was du eigentlich, oder übersetzt in unser Verwaltungsdeutsch, was du sagen möchtest, ist das, dass die Kultureinrichtungen, die wir selbst betreiben, möglicherweise konservativer ausgerichtet sind und dort, wo wir Geld nach außen ausreichen, auf Anträge hin, die größere Innovationskraft steckt.
Kristin Oswald
Möglicherweise.
Christian Horn
Nehmen wir mal nur dieses Beispiel, wie wir digital kommunizieren können. Das hat ja auch handfeste Gründe, ich habe es ja vorhin erwähnt. Wir kommen mit unserem Konferenzsystem gar nicht raus aus der Stadtverwaltung und in der freien Szene und in der privaten Wirtschaft kommuniziert man da schon ganz anders.
Also insofern, da ist ja was dran. Jetzt ist es gleichzeitig so und da, das muss ich dann nochmal ganz deutlich so beschreiben. Auch unter den Antragstellungen gibt es institutionelle Förderung.
Das heißt, wir fördern zum Beispiel das Theater Schotte, also ganz wichtig für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, eine kontinuierliche Theaterausbildung zu schaffen. Also wir fördern sechs bis acht Institutionen institutionell und dann gibt es eben noch die Projektförderung. Und da sind wir zum Glück in Erfurt, wenn man es jetzt mal auf die Einwohnergröße so als Quotient betrachtet, relativ gut aufgestellt und sogar so weit gut aufgestellt, dass wir mit dem, was wir an Personal haben, momentan nicht mehr hinterherkommen, die ganzen Anträge zu bearbeiten und da im Grunde jetzt auch personell nachführen müssen. Ich möchte auch ganz ausdrücklich dazu sagen und um hier vielleicht nochmal mit einem Mythos zu brechen. Der Stadtrat, der für uns zuständige Ausschuss, also Bildung und Kultur, bringt sich vehement für Kultur ein. Da muss man immer noch sagen, im städtischen Haushalt, der jetzt eine Milliarde beträgt, ist das, was bei uns investiert wird, eher marginal. Aber in der politischen Diskussion setzen sich viele, viele Fraktionen sehr, sehr für die kulturellen Interessen ein. Natürlich gibt es da nochmal Fachdialoge, für was man was einsetzen sollte. Aber gerade im Bereich der freien Förderung haben wir viel, viel Unterstützung auch im politischen Raum und können uns dort in dem Bereich gar nicht so beschweren. Eigentlich müssen wir eher nachführen, wo es um die Infrastrukturen des Depots und der Museen geht, also unseren eigenen Verwaltungshaushalt.
Kristin Oswald
Kannst du aber trotzdem verstehen, wenn bei der freien Förderung, also man hört ja oft so eine gewisse Unzufriedenheit, zumindest ist das so ein Gefühl, das ich habe von Seiten der freien Szene oder von kleinen Initiativen, die sich so ein bisschen nachrangig behandelt fühlen und vielleicht auch gerne eine institutionelle Förderung hätten, also gerne in eine städtische Institution überführt oder zumindest langfristig finanziert werden möchten, kannst du das dennoch nachvollziehen, dass da vielleicht die Wahrnehmung eine andere ist, als du sie dann zwangsläufig auch haben musst?
Christian Horn
Ja, also da würde ich jetzt am liebsten mit zwei, drei Akteurinnen und Akteuren hier direkt am Tisch sitzen, um da das gemeinsame Gespräch zu haben. Selbstverständlich, da ist eine Ungeduld da und ja, die Dinge sind, da kommen wir wieder, wir sind, ich muss jetzt erstmal über das abstrakte Modell einer demokratisch verfassten Gesellschaft und dann einer kommunal organisierten Bevölkerung, muss ich nochmal kommen, das A und O ist immer die Autorisierung durch den Stadtrat und alle müssen dort überzeugen und die freie Szene muss überzeugen und wir als Beschäftigte der Kulturverwaltung müssen für die Vorhaben, die man uns anheimgestellt hat, also die Museen, genauso überzeugen und ich sag mal, die Antwort auf deine Frage ist, dass die Ungeduld, die in der freien Szene in berechtigter Weise da ist, die ist genauso bei den Beschäftigten unserer Museen da, der zentralen Restaurierungswerkstätten, also das ist wie ganz viele Kinder um einen Tisch haben, die alle essen wollen und alle das möglichst leckere essen wollen und irgendwann ist die Torte dann eben doch aufgegessen. Wir müssen das, können das nur über eine gute Dialogsituation lösen und ich will da zum Schluss auch noch was Kritisches dazu sagen, über eine gute Dialogsituation lösen, dieses Verständnis aufzubauen, dass es da keinen absoluten Wert gibt, wo alle bedient sind, sondern immer Prioritäten gesetzt werden müssen. Positiverweise haben wir in Erfurt aus meiner Sicht eine sehr, sehr gute Dialogsituation, wir haben nicht diesen Burggraben, wie er andernorts zwischen institutionalisierter Förderung und freier Szene existiert, wir haben nicht diese Grabenkämpfe. Da trägt auch die freie Szene viel zu bei, zum Beispiel die ständige Kulturvertretung, die sehr, sehr wertvolle Dialogformate anbietet. Also insofern, wir sind da relativ gut unterwegs, glaube ich, vom Geld und von der Dialogsituation her. Aber was ich kritisch anmerken möchte, und da knabbern wir jetzt auch dran und gucken, wie wir mit der Überarbeitung der Kulturförderrichtlinie gerade im institutionellen Bereich arbeiten, es findet da keine Evaluation statt. Das, was ich vorhin beschrieben habe, dass ein Stadtrat derjenige ist, der das Ganze legitimiert, es gibt dann eine Haushaltsstelle und dann bekommt diese Einrichtung das Geld zugesprochen, aber querschnittsmäßig zwischen den geförderten Einrichtungen findet keine Evaluation im Bereich der institutionalisierten Förderung statt. Ganz wichtig, das ist in anderen Kommunen meistens auch nicht der Fall. Da machen wir uns vielleicht auch selber ein bisschen was vor, dass es da in irgendeiner Form einen Kriterienkatalog gibt, wo einmal im Jahr abgerechnet wird, aber das ist so nicht. Das ist auch in anderen Städten nicht so praktischerweise, wie soll es auch so sein. Da wird eine Einrichtung über viele Jahre institutionell gefördert, hat auch vielleicht sogar Dutzende von Beschäftigten und im nächsten Doppelhaushalt soll sie nicht mehr gefördert werden. Das ist ein ganz, ganz heißes und schwieriges Thema. Wir überlegen, ich greife da jetzt tatsächlich mal vor, dass wir mindestens einen Beirat in Zukunft installieren auf dieser Ebene, weil der ist in Erfurt nicht installiert und da sind andere Kommunen weiter. Es ist so, dass wir als Kulturverwaltung, als Kulturdirektion die Dinge in den Stadtrat einbringen und dort darüber gefunden wird. Da noch einen Beirat an der Seite zu haben, wäre sicherlich hilfreich.
Kristin Oswald
Man hört ja auch sehr oft die Kritik, dass quasi die einzige Messbarkeit, die auf kulturpolitischer und Verwaltungsebene zählt, eigentlich die der Besuchszahlen ist und dass vieles andere, was Kultur ja bewirkt, bewirken kann, wir wissen es nicht, weil es wird ja oft nicht evaluiert, da sehr viel eigentlich außen vor bleibt und man gleichzeitig aber eben auch fragen kann, ob ja Besuchszahlen sagen ja noch nichts über Qualität, sagen ja noch nichts über Langfristigkeit aus, darüber was vielleicht in der Stadtgesellschaft passiert, was man vielleicht an Bildungsarbeit leistet. Von daher finde ich das ganz spannend, dass du sagst, weil man dann ja fragen kann, naja, aber anhand von was macht ihr denn dann fest, was ihr fördert und was ihr nicht fördert.
Christian Horn
Also grosso modo machen wir es, aber auch selbst das bleibt noch zu einem gewissen Grad eine Behauptung an Sparten fest. Also an Besuchszahlen machen wir es sicherlich nicht fest, aber es gibt ja bestimmte Sparten, so 7, 8 und in jeder Sparte ist bei uns eine Einrichtung vertreten, die etwas mit abdeckt.
Kristin Oswald
Was wären denn aber für dich Aspekte, wenn du sagst, Besuchszahlen macht ihr nicht, die du dir potenziell vorstellen könntest?
Christian Horn
Also wo wir jetzt zum Beispiel bei der Überarbeitung der Kulturrichtlinie dran sind, ist, dass wir Compliance-Fragen in den Vordergrund schieben. Also das muss ja zumindest sichergestellt sein, dass eine Selbstverpflichtung der Fördermittelempfänger ist, bestimmte Compliance-Fragen gewährt zu leisten und wir zumindest den Hebel haben, in dem Moment, wo die verletzt sein sollten, die Förderung zurückzuziehen. Und derartige Aspekte haben wir bisher nicht drin. Vielleicht klingt das jetzt noch ein bisschen formalistisch, aber ich finde es gar nicht so formalistisch, weil gerade im kreativen Bereich, wir können das ja nicht top-down steuern, wie ein Theaterstück, eine Ausstellung oder kulturelle Vermittlung geschieht. Also das hat ja auch viel mit kultureller Autonomie zu tun. Wir geben einen bestimmten Geldbetrag raus und müssen uns ab dort dann auch darauf verlassen, dass der gut und sinnvoll verwendet wird. Also das lässt sich ja nicht übersteuern, erzwingen. Aber was wir, finde ich, deutlicher sicherstellen sollten, ist, dass die Arbeit, die Handlungsumgebung des Fördermittelempfängers dem entspricht, was heute an Compliance-Standards auch formuliert werden muss.
Kristin Oswald
Ich denke da zum Beispiel auch an so etwas wie Mindesthonorare. Das ist ja so ein Thema, das auch immer wieder diskutiert wird. Bekommen zum Beispiel KünstlerInnen Honorare schon dafür, dass sie Werke schaffen, die dann erst in einer Ausstellung gezeigt werden?
Also da gibt es ja so sehr viele Themen, wo dann auch immer wieder gesagt wird, naja, entweder die Verwaltung hat kein Budget, um sowas zu finanzieren oder sowas wird nicht verlangt, also setzen wir es auch nicht um. Aber Arbeitsbedingungen spielen ja nicht nur bei denjenigen eine Rolle, die für die Kulturverwaltung arbeiten, sondern ja auch bei denen, die quasi über die Kulturförderung dann eben gefördert werden.
Christian Horn
Also in der Antragswertung, wenn wir feststellen, dass es Selbstausbeutung ist, geben wir auch schnell in der Antwortstelle das Zeichen, dass so die Kostenkalkulation nicht erfolgen kann. Allerdings ist es so, was jetzt Mindesthonorare anbetrifft, durch BKM, also auf Bundesebene sind die ja jetzt beschlossen, aber BKM hat auch eingeräumt, dass das Fördermittelbudget, also der vom Bund geförderten Kulturprojekt, der auf föderaler Ebene nicht erhöht wird und dadurch die Anzahl der Anträge, die gewährt werden kann, sich reduziert. Das ist nämlich der Preis. Also einerseits legt BKM jetzt der Bund die Latte hoch, dass Mindesthonorare bezahlt werden, und da gibt es ja diverse Leitfäden, das ist noch so ein anderer Punkt, welchen nimmt man dann, aber erstmal grob überschlägig genügt es ja, dass da Preise bezahlt werden, die für Freischaffende wirklich auch redlich sind. Und bei uns auf kommunaler Ebene und so wie wir es auch diskutieren mit den Kolleginnen und Kollegen, liegt dieses Argument, dass wir dann auch weniger Projekte nur fördern können, schon relativ schwer. Weil viel bei uns ja auch hier auf kommunaler Ebene nicht voll professionell, sondern im Verbund mit Ehrenamt und auch nochmal mit ganz anderen Werten, das ist nicht nur Sicherung der Lebensgrundlage, sondern Identifikation mit Erfurt, mit Menschen, mit Vierteln und so. Also all das würden wir ja dann auch durch weniger Projekte schwächen. Und deshalb haben wir jetzt dieses Mindesthonorar-Thema bei uns, so wie wir jetzt die Kulturförderrichtlinien derzeit im Amt überarbeiten, noch nicht verankert. Ich will aber hier dazu sagen, dass wir in der zweiten Jahreshälfte in einen offenen Dialog über diese Überarbeitung gehen werden und dort die Frage stellen werden, ob uns in der freien Szene in dieser Position auch gefolgt werden wird. Wir sind hier bei der Kulturförderrichtlinie gerade in dem Podcast an dem Punkt, wo ich, ich sag mal jetzt als Amtsleiter es mir anmaße, ein wenig nach intern zu schauen, ohne dass wir bisher im öffentlichen Dialog sind. Aber das ist ganz wichtig dazu sozusagen. Also diese Punkte, die wir jetzt ansprechen, werden Gegenstand von Workshops in der zweiten Jahreshälfte sein. Und dann fallen die Antworten vielleicht wieder anders aus, als ich sie hier bisher so rolliere. Einen Sprung würde ich noch gerne vornehmen, weil du die Netzwerkfrage angesprochen hast. Strategischerseits steckt genau das für mich da drin, Mindesthonorare. Wenn wir hier in Erfurt auch, was Finanzierungskulissen von Projekten anbetrifft, stärker werden wollen, wenn wir auch Honorarebenen erreichen wollen, die einfach einem professionellen Standard genügen, hilft es uns natürlich an Bundesmittel auch heranzukommen, weil genau das dann greift, was ich eben beschrieben habe. Auch das hat was mit Netzwerkarbeit und Kooperation zu tun.
Julia Jakob
Ja, weil das glaube ich ganz oft auch wiederum Fragen sind, gerade wenn man so auf die Fördermittelgeberseite guckt, was so Fonds darstellende Künste etc. anbelangt, die ja auch mit ähnlichen Mythen oder Vorurteilen konfrontiert sind. Ich musste da auch vorhin, als du die Frage formuliert hattest, Christine, daran denken, dass Steffen Kleves vom Fonds darstellenden Künste vor drei Jahren mal in einer Konferenz im Austausch mit Menschen aus den freien darstellenden Künsten darüber gesprochen hat, dass sie immer wieder mit ähnlichen Vorurteilen, egal von wo, konfrontiert werden.
Nämlich, dass es insbesondere immer die Metropolen sind, die das Geld bekommen und sich deswegen halt kleinere Regionen nicht darauf bewerben oder Menschen aus kleineren Regionen. Und er aber sagt, das ist totaler Quatsch, wenn wir uns das mal anschauen. Und ich glaube, dass eben auch da einfach eine Netzwerkarbeit oder eine Netzwerk-Dialog-Situation sehr helfen kann, um zu sehen, dass man mit ähnlichen Problemen oder Herausforderungen konfrontiert ist und aber vielleicht auch ähnliche Lösungswege gehen kann. Oder die sich dann eben auch für die Kulturverwaltung adaptieren lassen oder von der Kulturverwaltung in andere Strukturen dann auch hinein. Und jetzt hatte ich abschließend noch einen Gedanken, den ich wieder vergessen habe.
Christian Horn
Ich kann dich aber da retten, weil ich gerne noch mal was verlängern möchte, was du angesprochen hast. Also ich denke, dass jetzt die Aussichten, Landes- oder Bundesmittel in diesem Fall und auch EU-Mittel zu akquirieren, die sind grundsätzlich gar nicht so schlecht. Also wir müssen ja weiterhin dazu sagen, um ja auch nicht ins Klagen zu verfallen, wir leben in einem der reichsten Länder der Welt und in der Europäischen Union einfach auch in einem der reichsten Räume der Welt. Das Geld ist aus meiner Sicht gar nicht immer primär die Frage. Die Frage ist, wie qualifiziert sind die Anträge. Und zu mir hat mal jemand gesagt, der Geld ausreicht, du, ich will nachher nicht mehr Probleme haben als vorher. Und ich meine beobachtet zu haben, dass Förderer sehr genau gucken, wie die potenziellen Fördermittel-Empfänger aufgestellt sind, ob die die Qualitäten im Projektmanagement haben, ob sie das Durchhaltevermögen auf Dialogstrecken haben, was Deadlines und so anbetrifft, um mit Fördermitteln auch verantwortlich umzugehen. Da sind wir noch nicht bei der Frage, ob ein Fördermittelantrag so gut ist, dass er inhaltlich qualifiziert. Aber jeder, der auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzt und Geld ausreicht und die ganzen Abrechnungen machen muss, der führt in Gedanken mit, ob die Institution, die das Geld entgegennimmt, in der Lage ist, damit entsprechend umzugehen. Diese Drittmittelverwaltung, die ist tricky. Da rudern wir übrigens auch in der Kulturdirektion. Da hatten wir jetzt ein Projekt, da waren wir nicht der verlässliche Partner. Das müssen wir einfach uns dann auch selbst sagen. Das kann man hoch und runter diskutieren, woran das gelegen hat. Aber wir waren einfach nicht der verlässliche Partner. Und wenn wir da jetzt wieder einen Antrag stellen, glaube ich, sind unsere Aktien nicht so gut. Und das, weil du es auf den kommunalen Bereich abgehoben hast, hat aus meiner Sicht viel damit zu tun, dass wir unsere Kompetenzen im Projektmanagement, auch in den Soft-Skills noch besser werden müssen, also aber das hat eben damit was zu tun, gar nicht umgesicht damit, ob Geld da ist oder nicht da ist.
Julia Jakob
Nutzt ihr dann, also ohne da jetzt nochmal mit Blick auf die Zeit so weit ein anderes Thema aufzumachen, aber nutzt ihr solche Situationen, wie jetzt gerade, wo du meintest, ihr wart nicht die verlässlichsten Partner, um dann daraus einfach auch zu lernen?
Christian Horn
Ja, selbstverständlich, selbstverständlich werten wir das aus und ja, aber das ist in der Personalführung, sind das knifflige Momente. Weil das ja Ursachen hat und Rollen, Selbstverständnisse von Mitarbeitenden da auch angesprochen sind und es auch um Gesichtswahrung geht und auch berechtigterweise, um die Erwartung eines Arbeitnehmers, erstmal vertraulich Dinge anzusprechen und gleichzeitig dürfen sich diese Fehler ja nicht wiederholen. Das ja, sind lehrreiche Momente, das werten wir aus, ja.
Kristin Oswald
Genau, ich hätte noch wahnsinnig viele Fragen, aber ich würde es jetzt vielleicht auf zwei Aspekte reduzieren. Wir waren jetzt gerade beim Personalthema und wir haben im Vorgespräch vorhin schon kurz drüber gesprochen. Die Personalflucht aus der Kulturverwaltung ist vielleicht auch so ein Mythos, den wir nochmal kurz ansprechen können. Ich glaube, Jule und ich, wir kennen sehr viele Menschen, die irgendwie mit dem Wunsch etwas zu verändern, die Kultur voranzubringen, in öffentliche Kultureinrichtungen, aber auch in Kommunalverwaltungen gehen und dann relativ schnell wieder flüchten, weil sie eben merken, wie schwierig es ist, etwas zu verändern oder weil sie, und ich spreche da auch aus eigener Erfahrung, sich ausgebremst fühlen, wenn sie einen halben Tag brauchen, um einen Reisekostenantrag einzureichen, um jetzt mal so ein ganz grundlegendes Beispiel vielleicht zu bringen. Ist das etwas, das du kennst und falls ja, ist es, was ist deiner Meinung nach ein Umgang damit, der sowohl die Bedarfe der Mitarbeitenden vielleicht nach Innovationskraft verbindet mit den notwendigen, du hast es vorhin gesagt, Government-Strukturen, die so eine Verwaltung aber auch einfach braucht?
Christian Horn
Ja, also, Chaka, extrem geile Frage, geht mitten rein, jetzt sind wir am Ende, aber jetzt gebe ich auch nochmal Dampf rein. Also, ich teile dieses Krisenszenario nicht. Wir laufen durch die Welt und sagen, wir haben Mitarbeiter- und Fachkräftemangel. Ja, in einem gewissen Rahmen haben wir die auch, aber wir können auch verdammt viel dafür tun, dass sich Mitarbeitende für uns entscheiden und mein Mantra an dieser Stelle ist wirklich, dass es eine Abstimmung mit Füßen ist und dort, wo erst mal eine gute Stimmung, eine konstruktive Arbeitsumgebung ist, wird das wahrgenommen und dort, wo es destruktiv ist, wird es auch wahrgenommen und das sind ja auch viele informelle Gespräche, wo es weitergegeben wird. Wir hatten eine Stellenausschreibung, jetzt im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, da hatten wir eine extrem gute Resonanz. Aufgrund haushalterischer Dinge, das gehört nämlich dort auch zur Wahrheit, konnten wir diese Stelle jetzt nicht besetzen. Da geht einem natürlich schon so langsam die Faust in der Tasche auf. Du hast den Eindruck, Mensch, da sind Teams, da sind Social Media, da ist eine Öffentlichkeitsarbeit der Kulturdirektion in Erfurt, da sagen einfach mal ein paar Dutzend Leute, ja, auf diese Stelle bewerbe ich mich. Dann hast du wieder die ganze Verwaltungslogik mit Haushalt etc.
und kriegst einfach mitgeteilt, wir können momentan Stellen nicht besetzen. Aber, ja, ich denke, dass sich da Dinge, ja, einfach über die die Art und Weise, wie wir uns selbst präsentieren im Arbeitsmarkt, bewegen können und dann, wenn ich so die Stichworte gute Stimmung anspreche, auch ganz viel damit zu tun hat, wie viel Autonomie einem Mitarbeiter, egal wo, zugesprochen ist, wie viel Vertrauen. Und auch hier wäre es vielleicht gut, wenn Mitarbeiter von uns hier noch am Tisch sitzen, vielleicht werden sie auch nicht ganz ehrlich, weil ich selbst hier sitze, aber soweit ich betroffen bin, mir ist ja nun die Abteilungsleiter, die Sachgebietsleiter-Ebene unterstellt und bis heute, ich sage immer, ich gehe nirgends fachlich rein. Es gibt nicht einen Förderantrag, wo ich etwas zu sage, es gibt nicht eine Ausstellungsplanung, wo ich was zu sage, es gibt nicht eine Festplanung, wo ich etwas zu sage. Immer mit diesem Vorsatz, die programmatische Autonomie liegt in den Abteilungen und in Anführungszeichen ist es wirklich mein Albtraum, dass politisch von oben durchgestellt wird, dass es etwas zu machen gibt und wir so gesehen dann auch diese Autonomie und die Arbeitsmotivation in den Abteilungen beschädigen. Die Mitarbeitenden wissen sehr gut und sehr genau, was sie machen, kennen ihre Zielgruppen, wissen sie, wie sie methodisch vorangehen und ich sage mal, Geld ist nicht alles und auch hinderliche Verwaltungsstrukturen sind nicht alles, sondern dieses Gefühl als Arbeitnehmer, zumindest hoffentlich, eine Unternehmensumgebung zu haben, wo es gewollt ist, dass man selber arbeitet, dass man seine Fehler auch macht und revidiert und was du ansprichst, dass natürlich es unendlich anstrengend werden kann. Ja, stimme ich dir zu und da gibt es Auswüchse in der Verwaltung, stimme ich dir auch zu, aber wir wissen alle, wenn wir über große deutsche Industrieunternehmen reden, wenn du Zulieferer bei einem großen deutschen Automobilbauer bist, dass es genauso zugeht, dass du genau diese Geduld haben musst, um dich durchzufressen. Wir wissen alle, wie es aussieht, wenn du Selbstständiger bist, wenn du eine Rechnungslegung hast, wenn du mit dem Finanzamt redest. Also an der Stelle ist schon so der Punkt, wo ich dann immer sage, naja, also diese ideale Welt, wo ich nicht auch diese Schwierigkeiten habe, die gibt es so auch nicht.
Kristin Oswald
Aber der Unterschied ist ja ein bisschen, als Unternehmen kann ich als Chefin zum Beispiel ja bestenfalls darüber entscheiden, zu welchen Konditionen ich was für Stellen schaffe. Jetzt bist du ein Chef, aber wahrscheinlich kannst du eben, also du kannst nicht alleine sagen, ich schaffe jetzt hier eine Vollzeit- Genau, und gleichzeitig ist es ja aber auch verständlich, dass, jetzt kenne ich die Ausweichung nicht, aber dass zum Beispiel vielleicht jemand, der hochqualifiziert ist, sagt, naja, zwei Jahre halbe Stelle möchte ich halt nicht mehr.
Christian Horn
Ich kann dir nur zustimmen, aber ich komme dann mit der Gegenfrage, gerade wenn wir über den Bereich Kultur reden, wo in Deutschland und auch in anderen Ländern ist denn so viel Geld und institutionelle Entwicklung im Spiel, wie im öffentlichen Sektor, wenn es um Kultur geht? Also es gibt sicherlich ein paar Ausnahmestiftungen im privaten Bereich, die auch derartiges bewerkstelligen, die extreme Treiber sind, wo genau diese Arbeitsumgebung, die du ansprichst, sicherlich auch deutlich besser ist. Aber jetzt ganz real ist es einfach auch so, wir haben ein föderales, ein demokratisches Gesellschaftsprinzip, wo wir unsere Kultur immer wieder verständigen müssen, und ich versuche extrem agiert zu arbeiten. Ich ordne mich den ungeduldigen, hartnäckigen Menschen zu, so gesehen auch den ehrgeizigen Menschen, aber ich finde, zur Ehrlichkeit gehört auch zu sagen, dort, wo wir in Kultur was bewegen können und wo es auch nachhaltig ist und wo es dem Gemeinwohl verpflichtet ist, muss ich die Verwaltung aushalten. Da bin ich im Solidarprinzip drin. In meiner Berufsbiografie gibt es auch eine Station, wo ich dann auch aufgegeben habe, also ich will hier nichts irgendwie heiligsprechen, aber dieses Grundprinzip, dass wir mit diesen Widrigkeiten umgehen müssen, ich glaube, ist da und wir müssen das System von innen raus stärken und dort entschlacken, wo du auch Absurditäten ansprichst. Aus meiner Sicht.
Kristin Oswald
Ich stimme dir total zu, weil natürlich, wenn du niemanden hast, der im Prinzip den Willen hat, die Veränderung durchzukämpfen, dann passiert sie halt auch nicht, ist ganz klar. Ich gehe davon aus, dass wir auch nicht darüber streiten müssen, dass das ja, sagen wir auch, nicht nur personengebunden ist, sondern natürlich auch im Zweifelsfall mit gewissen Barrieren zu tun haben kann, die wieder aus gesellschaftlichen Strukturen erwachsen. Aber wenn ich dir jetzt die Gegenfrage stelle, was machst du denn, wenn du beispielsweise eine Stelle ausschreibst und merkst, dass für die wirklich qualifizierten Leute die Konditionen zum Beispiel eben nicht gut genug sind?
Christian Horn
Jetzt gehen wir ins Streitgespräch. Die Konditionen sind im öffentlichen Dienst gar nicht mehr so schlecht. Gerade in den Gehaltsgruppen so ab E8 bis E11 und wenn du richtig Glück hast bis E13, kannst du richtig gut unterwegs sein. Jetzt sind Einzelbeispiele immer blöd, aber ich saß kürzlich mit dem Geschäftsführer eines größeren Ingenieursbüros im Bereich Brandschutz zusammen und er hat gesagt, ich kriege die Leute nicht mehr, weil der öffentliche Dienst zu gut bezahlt. Da sind wir jetzt im Bereich Brandschutz, das ist noch nicht Architektur und Rocket Science. Wollen wir also nicht alles vergleichen. Aber die Konditionen im öffentlichen Dienst sind gar nicht mehr schlecht und auch was Modelle wie Sabbatical oder Elternzeit oder so anbetrifft. Das kann nicht der Nachteil sein. Ich glaube, der Nachteil ist mehr eben die Unternehmenskultur, die Arbeitskultur, die einfach noch sehr risikoavers ausgelegt ist und wo ich auch sage, lasst uns von den zehn Projekten lieber die neun machen und eins verhauen, als über das eine ewig zu diskutieren und auf irgendwie Paragrafen berufen, warum das schief gehen kann und der Angst, um Psychologie zu erledigen.
Kristin Oswald
Ich finde es ganz interessant, dass du das sagst, denn wir haben ja letztes Jahr eine Umfrage zum Thema Fachkräftemangel im Kulturbetrieb gemacht, die auch so viele Freifeldantworten hatte. Die Leute konnten auch ein bisschen beschreiben und ganz oft war das Argument, ja, was sollen wir hier an der Unternehmenskultur verändern, wenn die Leute die Rahmenbedingungen quasi schon gar nicht so gut finden. Deswegen finde ich es ganz interessant, dass du das sagst, weil ich glaube, dass du recht hast. Also ich möchte dir da gar nicht widersprechen. Ich glaube, dass du total recht hast und dass das Problem gar nicht immer, sicherlich manchmal, aber gar nicht immer die Arbeitskonditionen an sich sind, sondern vielleicht auch ein bisschen das Image, dass der öffentlich geförderte Kulturbereich als Arbeitgeber hat. Ich glaube, dass da schon sehr viel auch darin begründet wird.
Christian Horn
Das Image, und jetzt machen wir hier ein Hütchen, wechsle dich. Da bestätige ich dich ja dadurch, dass ich natürlich diese Unkündbarkeit habe. Das macht sich extrem gut, wenn ich mich in der Arbeitsberatung darüber profiliere, wo ich wieder irgendeinen Winkelparagrafen ausfindig gemacht habe, der angeblich noch nicht berücksichtigt ist. Und damit kämpfen wir in der Verhaltung. Das ist wirklich, das ist dieser ewige Zement, der angerührt wird. Da müssen wir gegen an, aber wie gesagt, das hat ganz viel damit zu tun, dass wir uns da auch selbst gegen wehren. Also Mitarbeiter haben, die sagen, so will ich nicht arbeiten. Auch Leitungskräfte haben, die sagen, diese Form von Unternehmenskultur, die fördere ich nicht. Das ist gerade mal nicht zielführend, wenn wir jetzt noch mit dieser Randbedingung, dieser Arbeitsbesprechung sprengen und festfahren.
Julia Jakob
Ein letztes Thema würde ich aber ganz kurz noch ansprechen wollen. Wir sind ja in Thüringen. Wir sind im AfD-Land leider Gottes. Hier stehen nicht nur die Kommunalwahlen, sondern ja auch die Landtagswahlen in diesem Jahr vor der Tür. Und wir hatten auch schon eine Podcast-Folge zu der Frage, wie sich all das, denn auf die Kulturpolitik auswirkt. Hast du da zum einen Erfahrung damit? Also hast du dieses, also ganz klassisch, man spricht ja über dieses, dann geht es eben nur noch um deutsche Kultur. Wir müssen irgendwie Traditionen pflegen, was dann eben so von rechter Kulturpolitik erwartet wird. Hast du da Erfahrung oder hast du Sorge? Gerade in Thüringen und Erfurt, was solche Entwicklungen auch für die Kulturverwaltung angeht?
Christian Horn
Jetzt werde ich mal extrem provokativ. Erstmal ist es ja was Schönes, Traditionen zu pflegen. Warum sage ich das jetzt so provokativ? Weil davon ist ja gar nichts Falsches. Das Miese ist ja, und das beobachten wir ja bei der AfD, das beobachte ich aber auch bei anderen Parteien, dass immer wieder Narrative aufgerufen werden, der bestimmten Klischees und Vorurteile bedienen und mit Verallgemeinerung untersetzt sind. Und wenn das greift, dann können wir natürlich in Kultur nicht mehr Vielfalt gewährleisten, dann fehlt uns Respekt, dann fehlt uns gegenseitige Wertschätzung, weil wir Menschen herabwürdigen über bestimmte Metanarrative, die gar nicht stimmen. Und das ist natürlich ein Riesenproblem und an vorderster Front wird diese Agenda massiv von der AfD bespielt. Wir dürfen die Dinge meines Erachtens nicht größer reden, als sie sind, weil es zum Glück immer noch genügend Menschen gibt, die das nicht teilen. Aber andererseits, wenn ich sehe, ich meine, das klingt dann immer ein bisschen akademisch, aber leider ist es so, und das ist das perfide, wenn ich sehe und höre, dass Begriffe etabliert werden, wie Abschiebungskultur, dann müssen wir natürlich sagen, schon, ich sag mal, diese Zersetzung von Sprache, das kann, das dürfen wir so nicht hinnehmen, weil, also Abschiebung als eine Form von Kultur zu betrachten, wo Biografien zerstört, beschädigt werden, wo persönliche Schicksale dahinter hängen und das so umzuwerten, das darf nicht passieren, wir dürfen das nicht zulassen, dass allein schon auf Sprachebene wir ja so unterlaufen werden. Und das sind politische Muster, die nicht neu sind, wo wir eigentlich in Deutschland die Reflexion gelernt haben sollten, die aber immer wieder Anwendung finden und wo wir in Erfurt, insbesondere vor dem Hintergrund unserer jüdischen Geschichte und dem Erinnerungsort Topf & Söhne uns, ja, in besonderem Maße klar sein sollen und klar sind, dass wir uns dort positionieren müssen. Was mir nur ganz wichtig ist, und du sprichst die Partei der AfD an und mir ist es ganz wichtig, dass wir die Partei auch nennen können, in allen Fällen, nicht nur die in der AfD. Auch das ist ja schon wieder so ein Metanarrativ, dass wir sagen, das Böse lauert jetzt alles bei der AfD. Nein, es ist diese Gedankenfigur, dass wir einfach eine bestimmte Form von Wertschätzung und Vielfalt dadurch abtöten, dass wir mit Klischees, mit Vorurteilen arbeiten. Das findet in besonderem Maße durch die AfD statt, aber das ist in der politischen Rhetorik leider gar keine Neuigkeit. Und auf diese Ebene möchte ich abheben, deshalb sind mir Parteien gar nicht so wichtig, sondern wir müssen diese toxische, logische Figur, die dort etabliert wird, die müssen wir einfach aufdecken, die müssen wir demaskieren.
Kristin Oswald
Hast du da Sorge für deine Arbeit in der Kulturverwaltung, dass sich da, ich sage jetzt mal, wenn beispielhaft bestimmte Parteien sich jetzt nach der Kommunalwahl zum Beispiel im Stadtrat als sehr stark etablieren sollten, dass sich das auf deine Arbeit in einer Art und Weise auswirkt, die dir nicht zusagt und zwar nicht nur auf deiner persönlichen, politischen Meinung nicht zusagt, sondern auch eben im Hinblick auf sowas wie zum Beispiel Vielfalt oder auch wie differenzierte Betrachtung von gesellschaftlichen Entwicklungen.
Christian Horn
Also wir haben ja immer noch diesen sogenannten übertragenen Wirkungskreis, dass wir als Verwaltung einen Handlungsauftrag haben und insofern auch zum Beispiel Fördermittelvergabe steuern müssen. Wenn jetzt politisch in das Ganze eingegriffen wird und ich den Eindruck haben sollte, dass wir also eine bestimmte Vielfalt nicht mehr abbilden können, dann kommen wir natürlich an diesen Punkt, wo sich jeder die Frage stellt, wie gehe ich mit einem solchen Arbeitgeber um? Also die Stadt Erfurt ist ja mein Arbeitgeber und überlasse ich dieses Feld, was jetzt abrutscht, also einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft jetzt denjenigen, die es zerstören, oder bewege ich mich weiterhin in diesem Feld und versuche dieser Entwicklung mit dem Wenigen, was ich leisten kann, Einheit zu gebieten. Das ist eine Gewissensfrage. Ich stand in Altenburg vor der Situation, wir hatten die Kommunalwahl, da liegen die Dinge nochmal anders. Ich habe da eine kuratorische Entscheidung getroffen. Wir haben ein Hörspiel gemacht im öffentlichen Raum, wo wir derartige Themen thematisiert haben. Warum sage ich kuratorische Entscheidung? Weil ich bewusst mich nicht für eine Ausstellung oder Ähnliches entschieden habe, sondern auf dem Schlossplatz, im öffentlichen Raum die Kraft des Wortes präsent haben wollte. Das Ganze ist auch auf den Tonträger gegangen und ja, das also auch als Antwort. Ich war damit einmal konfrontiert und ja, jetzt gucken wir mal, wie die Kommunalwahl läuft, aber wie gesagt, mir geht es um den Mindset. Mir geht es nicht darum, Menschen in irgendeiner Form, weil sie der einen oder anderen Partei angehören, herabzuwürdigen. Und zur Ehrlichkeit gehört eben auch, jede Partei, die bei der Kommunalwahl antritt, ist in diesem Land erst mal legitimiert. Auch die AfD ist nicht als Partei untersagt, bei der Kommunalwahl anzutreten. Und ihr interviewt mich hier als Kulturdirektor und ich habe viele Beschäftigte und niemand, der in der Kulturdirektion arbeitet, wird aufgrund seiner Zugehörigkeit zu jeder, egal welcher Partei, in irgendeiner Form in seinem Arbeitsverhältnis herabgewürdigt oder beeinflusst.Das ist die andere Seite.
Julia Jakob
Das ist ein ganz wichtiges Statement. Und das werden jetzt auch tolle Abschlussworte sein, denn du hast noch etwas auf dem Herzen, dass du auch anders in Rom jetzt noch mal, jetzt warst du lange der Interviewte, also rausgeben möchtest.
[Christian Horn]
Nein, ich danke euch einmal mehr. Wir haben es ja schon im Magazin, dass wir jetzt hier mit dem gesprochenen Wort Dinge weiterwenden, und das sind ganz wichtige Reflektionen, deren Wirkung sich hoffentlich, aber die Wirkung zeigt sich dann eigentlich erst mal mit ein bisschen Abstand und in den kommenden Jahren. Wir reden jetzt natürlich über so Fragen, die irgendwo in den Sedimentschichten drin sind. Wir machen ja keine Besprechung einer einzelnen Ausstellung oder des Krämerbrücken-Festes oder derartige Sachen.
Julia Jakob
Ja, aber ich habe vorhin auch schon gedacht, dass wir uns wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte auch nochmal zusammensetzen sollten, weil du so viele spannende Dinge angesprochen hast.
Christian Horn
Naja, wir haben ja große Vorhaben in Erfurt und die sind jetzt manchmal aufgeschimmert, aber ich sage mal, es sind vier, fünf Vorhaben, wo jedes Vorhaben für sich schon eine Strukturentwicklung ist.
Julia Jakob
Hast du noch etwas Abschließendes, Christin? Nein. Wir könnten dich jetzt noch abschließen lassen mit etwas, das komplett unabhängig von dem steht, was wir gerade besprochen haben, nämlich einer Rubrik, für die wir immer noch keinen Namen haben. Eine namenlose Rubrik, in der es aber darum geht, positive Kulturbeispiele, positive Beispiele aus der Kultur-Arbeitswelt etc. hier kurz zu schauen und schön ist, dass dir begegnet bei der Arbeit.
Christian Horn
Da gibt es so hammer viel und ich hasse diese Fragen, weil es ist wie die nach deinem Lieblingslied oder deinem Lieblingsbuch und dann, wenn du gefragt wirst, fällt es dir nicht ein. Ich bin so ein, ich ziehe mir alles rein und bin überall unterwegs und wenn ich jetzt heute Abend zu Hause bin, fällt mir das alles ein. Doch, zwei Dinge fallen mir gerade ein.
Du müsstest mir aber noch die zwei Minuten geben. Und zwar hat es einfach so etwas damit zu tun, wir machen natürlich nach vorne, hoffentlich möglichst schöne Sachen, aber im Hintergrund ist ganz viel triviale und simple Arbeit zu leisten und ich habe einmal war es ein Podcast auf Radio 1 und einmal ein Interview eines Fußballtrainers, zuletzt gehört, die das schön auf den Punkt brachten. Der eine auf Radio 1 hat irgendwie so eine super fancy Cocktailbar in Berlin und ist da abends natürlich der irgendwie Master of Ceremony hinter dem Tresen und er meinte in diesem Radio 1 Interview, ey, fuck off, das was ich mache, 80 Prozent, ich schraube irgendwelche Toilettenrohre, ich kratze irgendwelche Aufkleber runter, ich mache irgendwie die Buchführung, das ist mein Geschäft, das ist mein Leben und der zweite Punkt, das war Jürgen Klopp, der als Trainer in England aufhört und er meinte, ey, ihr seht mich am Samstag immer an dieser Trainingslinie stehen mit meinem Käppi und auch alles ganz fresh und hast du nicht gesehen, aber das ist nicht mein Leben, ich habe dieses Match hinter mir, Adrenalin ist noch oben und ich muss schon wieder mit dem Management darüber reden, wie ich die Mannschaft in zwei Jahren aufstelle, weil wir den Transfermarkt sondieren. Und ja, jetzt habe ich keine Positivbeispiele von Kultur euch erzählt, ich weiß nicht genau, wie das mir ausgelöst ist, aber es zahlt so ein bisschen auf das ein, was du auch sagst. Es tut alles auch ein bisschen weh und wir müssen viel durch die Ebene gehen, um das dann nach außen rauszuarbeiten, was dann irgendwie auch richtig gut und nachhaltig ist.
Julia Jakob
Ich glaube, wir können das unter der Rubrik laufen lassen, Positives aus Kultur und Medien, was dir begegnet ist, was dich bewegt hat in der letzten Zeit.
Christian Horn
Ja, also die beiden, die haben mich als Persönlichkeiten von der Philosophie, weil absolute Frontrunner sind so so Strahlemänner und die einfach mal öffentlich sagen, ey, damit ich das bin, wie ich wahrgenommen werde, arbeite ich eigentlich so. Also insofern, das war eigentlich ein bisschen methodisch geantwortet, jetzt nicht, aber
Julia Jakob
Ja, aber zeigt ja auch, dass ganz oft vielleicht so, um die eigene Komfortzone zu verlassen, dann sind wir jetzt doch wieder beim Podcast-Thema an sich, es auch sehr wichtig mitunter ist, über den Tellerrand zu blicken und Menschen zu finden, die zwar in einem ganz anderen Bereich arbeiten, aber die Dinge sagen, die einen auch für die eigene Arbeitswelt bewegen.
Kristin Oswald
Und dass eben Kultur ja genauso immer nach außen schön scheint. Also diejenigen, die quasi Kultur besuchen, nehmen natürlich auch immer irgendwie den Glanz und den Glitzer nach außen, die Kreativität und die Kunst, aber am Ende ist es eben ganz viel Verwaltungsarbeit, manageriale Arbeit, Planungsarbeit, strategische Arbeit und das Kreative im Hinblick auf die Kunst selbst, ist davon dann eben doch irgendwo nur ein Teil.
Christian Horn
Das ist die Seite auf der Arbeitsseite, genau, das ist der Punkt. Und umgekehrt, und das finde ich immer so faszinierend, also jetzt auch für mich privat und persönlich, lass dich bloß nicht ausschließlich auf das ein, was angeblich die Höhlenkultur ist. Es gibt so viele tolle Sachen, Musik, Maler, Theateraufführungen. Die besten Musiker, die ich meine, zu kennen, sind nicht in den Charts, zum Beispiel. Bloß die Augen selber aufmachen und sich nicht von dem täuschen lassen, was irgendwie ganz oben auf der Agenda Kulturspielpläne steht. Also auch nicht von dem täuschen lassen, was bei uns ganz oben steht. Die Nischen sind viel, viel interessanter, vielfach.
Julia Jakob
Definitiv. Wir danken dir, Christian. Danke dir für deine Ehrlichkeit und Offenheit, unbedingt.
Kristin Oswald
Und danke an die Zuhörenden, dass ihr heute wirklich lange dabeigeblieben seid, hoffentlich. Wir hoffen natürlich, dass es für euch auch interessant war, mal Einblicke quasi von der anderen Seite auch ein bisschen zu bekommen. Falls ihr sonst vielleicht eher nicht im Dialog mit der Verwaltung seid, falls ihr vielleicht eher zum unternehmerischen Kulturbetrieb gehört, den gibt es ja auch, haben wir gehört, Kulturmanagementnetwork gehört auch dazu. Genau, wir hoffen, es war spannend für euch und wir sind froh, dass die erste Folge mit einem externen Gast heute so fruchtbar war, und so diskussionsreich war und verabschieden uns von allen, die zuhören und natürlich von Christian.
Christian Horn
Ja, und sollte ich etwas Ungerechtes gesagt haben, einfach in dem Wunsch, auch ein wenig pointiert zu antworten, das halten wir jetzt spontan ein, schreibt einfach an kulturdirektion.erfurt.de und schüttet euren Unmut aus, sowohl die Kollegen in der Stadtverwaltung Erfurt betreffend als alle anderen auch. Danke.
Julia Jakob
Danke, bis zum nächsten Mal
Abspann
Danke, dann bis zum nächsten Mal. Das war Dienstags im Koi, der Podcast von Kulturmanagement.net und wir hoffen, ihr schaltet auch beim nächsten Mal wieder ein. Über Feedback, inhaltliche Anregungen oder andere Kritik freuen wir uns per Mail an redaktion.kulturmanagement.net. Bis zum nächsten Mal.